Von den Sternen gekuesst
nach Deutschland durchgebrannt ist, aber er meldet sich fast jeden Tag. Per E-Mail oder Telefon.«
»Außerdem verfolgen die sich neuerdings gegenseitig per GPS über ihre Handys«, fügte Geneviève mit einem Grinsen hinzu.
Charlotte verdrehte die Augen. »Na, schönen Dank, dass du allen von unserer bedauernswerten Ko-Abhängigkeit erzählst«, maulte sie, lächelte aber dabei. »Ich bin echt erstaunt, wie sehr er sich in der kurzen Zeit schon verändert hat«, sagte sie an mich gerichtet. »Ständig erzählt er mir von seinen neuen Gedanken über ›unser Schicksal‹ und wie es ist, auf der Welt zu sein, um der Menschheit etwas zurückzugeben. Heute Morgen sind er und die deutschen Anverwandten zu einer spirituellen Bergtour aufgebrochen.«
Sie tippte auf ihr Mobiltelefon und schon öffnete sich eine digitale Karte, die Frankreich und Deutschland zeigte. Über Paris blinkte ein roter Punkt, auf deutscher Seite führte eine grüne Linie in westlicher Richtung von Berlin weg und endete nach ungefähr einem Zentimeter in einem leuchtenden Fragezeichen. »Er scheint dort kein Netz zu haben, er wird nicht mal angezeigt.«
»Stimmt, das ist in der Tat ziemlich ko-abhängig, wenn du mich fragst«, scherzte ich mit einem schiefen Grinsen.
Spielerisch rammte mir Charlotte den Ellbogen in die Seite. »Hör schon auf. So was verstehen eben nur Zwillinge. Auch egal«, sagte sie und verstaute das Telefon wieder in ihrer Strickjacke.
»Für deine Großmutter und die Herren«, sagte Jeanne, bevor sie mit dem vollen Tablett aus der Küche eilte.
Während sie fort war, herrschte nachdenkliche Stille in der Küche. Außerdem waren alle mit Jeannes vorzüglicher Lasagne beschäftigt. Als die Haushälterin wenige Minuten später zurückkehrte, fragte ich: »Lagebericht?«
»Deine Großmutter behauptet sich. Sie sah nicht unbedingt begeistert aus, hat Jean-Baptiste und Gaspard aber aufmerksam zugehört«, sagte Jeanne, die sich wieder ihre Schürze umband.
»Und es ging um …?«, bohrte ich weiter.
»… den Vorschlag, dass du und deine Schwester von nun an überallhin begleitet werden sollt, egal wohin«, sagte sie sehr sachlich und wandte sich dann dem Backofen zu.
Georgia und ich tauschten beunruhigte Blicke.
»Ich weiß, dass wir darauf warten, neue Anweisungen von Jean-Baptiste zu bekommen«, setzte Arthur an, der seine Aufmerksamkeit nur mit Mühe von meiner Schwester abwenden konnte. »Aber wir können genauso gut jetzt schon unsere Ausrüstung zusammensuchen, denn sobald er mit Madame Mercier fertig ist und erfährt, dass Henris Team Violettes Spur verloren hat, wird er uns ganz sicher auf Fährtensuche schicken.«
Ambrose stand auf, brachte seinen Teller zur Spülmaschine und drückte kurz Jeannes Schultern. »Wie, kein Nachtisch?«, fragte sie.
Mit beiden Händen klopfte sich Ambrose leicht auf den Bauch. »Nee, Jeanne, das geht nicht. Ich muss auf meine Figur achten.« Sie lachte schallend, während er zur Tür ging. »Ich hätte nichts gegen ein bisschen Training einzuwenden, wenn wir doch eh Zeit totschlagen müssen. Hat jemand Lust auf klirrende Schwerter?«, rief er über die Schulter.
»Diese Einladung kann ich nicht ausschlagen«, erwiderte Charlotte. Nachdem sie sich bei Jeanne für das Essen bedankt hatte, folgte sie Ambrose aus der Küche.
»Ich bin auch dabei«, stieß Geneviève hervor und Arthur erhob sich von seinem Stuhl, um sich ebenfalls anzuschließen.
»Ich guck zu«, murmelte eine ungewöhnlich blasse Georgia. Ich musste grinsen. Das war so typisch für sie, sich lieber so lang wie möglich zu verstecken, als sich dem Zorn unserer Großmutter zu stellen.
»Lasst das Geschirr stehen, meine Lieben, und lasst ein bisschen Dampf ab«, sagte Jeanne und scheuchte sie alle vom Tisch zur Tür.
»Ich komme gleich nach«, rief ich und stocherte weiter auf meinem Teller herum. Ich versuchte, es so aussehen zu lassen, als hätte ich etwas gegessen.
»Mir ist schon klar, was du da machst, mon petit chou «, sagte sie, obwohl sie mit dem Rücken zu mir an der Spüle stand.
Also legte ich die Gabel auf den Tisch. »Erwischt.«
Sie drehte sich zu mir, auf ihren Lippen lag ein mitfühlendes Lächeln. »Ich hab etwas für dich. Etwas, das dir vielleicht ein wenig Trost spenden wird in der harten Zeit, die vor dir liegt.«
Sie nahm meine Hand und führte mich aus der Küche und den Flur entlang in ihr Zimmer. Dieses Zimmer benutzte sie nicht oft, nur zu den seltenen Gelegenheiten, wenn sie über
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