Von Der Kunst, Hindernisse Zu ueberwinden
leopardengemusterten Jogginghose durch die Stadt laufen wollen, sollten Sie das tun können, ohne sich dabei unwohl zu fühlen. Wenn Sie immer drei Schritte vor und einen zurück gehen oder auf allen vieren eine Treppe hinunterkrabbeln wollen, darf das kein Problem darstellen. Das sind extreme Beispiele, aber sie verdeutlichen, worauf ich hinaus möchte: Wenn Sie irgendetwas tun wollen, egal wie verrückt oder ausgefallen es erscheinen mag, wenn Sie es wirklich wollen, dann sollten Sie es auch tun, weil es Sie glücklich macht. Und das zu tun, was einen glücklich macht, ist absolut nichts, wofür man sich schämen sollte. Ich behaupte sogar, dass die meisten Menschen viele Dinge, die sie gerne täten, ganz oft nicht tun, weil sie sich dafür schämen.
Um das zu belegen habe ich, inspiriert vom Musikvideo zu dem Song Slam der Gruppe Pendulum, ein Experiment gestartet. Direkt in der Fußgängerzone befindet sich ein Café, das so laute Musik spielt, dass sie auch auf der Terrasse noch gut zu hören ist. Ein paar Freunde, die ich für dieses Experiment angeheuert hatte, positionierten sich in der Nähe und warteten auf meinen Auftritt. Ich tat so als sei ich ein Fußgänger, der gerade an dem Café vorbeikommt und seinen Lieblingssong hört. Ich legte meine Tasche ab und begann zu tanzen. Ich tanzte und tanzte, wenn mich jemand direkt ansah, lächelte ich freundlich und hatte eine Menge Spaß dabei. Als der Song zu Ende war, nahm ich meine Tasche und ging weiter. Im Anschluss befragten meine Freunde die Gäste auf der Terrasse des Cafés: »Was denken Sie über diesen Mann?«
Neben Kommentaren wie: »Der ist lustig«, oder: »Der ist verrückt«: kam vor allem eine sehr interessante Antwort, und das von zwei Dritteln der Gäste: »Ich wünschte, ich hätte auch so viel Selbstbewusstsein, um einfach tanzen zu können, wenn ich meinen Lieblingssong höre. Aber ich würde mich das nie trauen, ich würde mich schämen.«
Natürlich will nicht jeder in der Öffentlichkeit tanzen, aber es geht ums Prinzip. Wie oft wollen wir spontan etwas tun und lassen es dann doch, weil wir uns Gedanken machen, was andere Menschen denken könnten?
Beim Parkour-Training gewöhnt man sich solche Gefühle ganz schnell ab. Man steht mit einer alten Jogginghose, oben ohne oder spärlich bekleidet, verschwitzt und mit zerzauster Frisur in der Fußgängerzone und muss beispielsweise kriechen wie ein Krokodil, hüpfen wie ein Frosch, sich vorwärts hangeln wie ein Affe, rückwärts auf allen vieren Treppen hochkrabbeln und ein und denselben Sprung wieder und wieder machen, 50 bis 200 Mal. Es ist ganz natürlich, sich bei so etwas anfangs unwohl und beobachtet zu fühlen, da man seine gewohnte »Komfortzone« verlässt.
Schritt 4: Die Komfortzone verlassen
Die Komfortzone ist der Rahmen ihrer Handlungen, in dem Sie sich wohlfühlen. Wenn Sie als Traceur das erste Mal einen Sprung auf einer kleinen Fläche landen, einen sogenannten Präzisionssprung, werden Sie sich dabei recht unwohl fühlen. Es spricht zwar körperlich nichts dagegen, das schaffen zu können, trotzdem fühlen Sie sich unwohl dabei, weil das außerhalb Ihrer Komfortzone – Ihrer gewohnten Umgebung und Handlungsweise – liegt. Die Komfortzone hat sehr viel mit Gewohnheit zu tun. Wenn Sie einige Male auf eine kleine Fläche gesprungen sind und sich daran gewöhnt haben, geht dieser Prozess Schritt für Schritt in Ihre Komfortzone ein. Man spricht dann davon, dass die Komfortzone sich erweitert oder – wie wir im Parkour sagen – »gepusht« wird.
Stellen Sie sich vor: Sie haben keine Kinder und passen einen Nachmittag lang auf Ihre 4-jährige Nichte auf. Sie nehmen sie zum Einkaufen in den Supermarkt mit, wo die Kleine aus Ihnen unerklärlichen Gründen anfängt zu weinen. Trotz all Ihrer Beruhigungsversuche weint und weint sie – lauthals. Sie bemerken die Blicke der anderen Leute, und es wird Ihnen unwohl. Sie sind außerhalb Ihrer Komfortzone. Was werden wohl die anderen Leute denken? Ob die denken, dass ich nicht gut zu ihr war? Die unterschiedlichsten Gedanken schießen in diesem Moment durch Ihren Kopf. Nun stellen Sie sich aber vor, Sie sind Mutter oder Vater eines 4-jährigen Kindes und mit ihm zum hundertsten Mal im Supermarkt. Zum hundertsten Mal beginnt die Kleine zu schreien und laut zu kreischen. Sie werden versuchen, sie zu beruhigen, aber wenn das nicht funktioniert, fühlen Sie sich nicht übermäßig unwohl. Sie ist ein Kind, und Kinder schreien nun mal ab
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