Von der Liebe verschlungen
Ich wollte glauben, dass ich es schaffen konnte. Doch in diesem Moment, in all meinem Glanz, konnte ich nicht einmal die Tür öffnen.
»Der erste Schritt ist immer der schwerste«, sagte Verusha mit einem leicht schelmischen Grinsen. »Aber ich glaube nicht, dass Ravenna der Grund ist, warum du dir jetzt gerade Sorgen machst. Geh zu ihm, Lieblienk.«
Sie streckte die Hand an mir vorbei aus, um den Türknauf zu drehen, und die Tür schwang auf.
34.
I ch hatte gewusst, dass Casper im Salon auf mich wartete. Doch der einstmalige Mann sah wie ein Gott aus, und ich geriet völlig aus dem Lot bei dem Blick in seinen Augen, als er mich seinerseits musterte.
Verusha hatte ihre Arbeit gut gemacht und ihn als männliches Pendant eines Pfaus zu mir eingekleidet. Sein Frack war von strahlend blaugrüner Farbe und schimmerte mit aufgestickten Federn. Darunter blitzten ein Hauch einer Goldbrokatweste und ein schneeweißes Jabot auf und weckten in mir den Wunsch, die schweren Knöpfe aufzureißen und zu sehen, was sich sonst noch alles darunter befand. Seine Hosen schmiegten sich auf höchst verführerische Weise an seine Beine, und seine hohen Stiefel glänzten.
Aber sein Gesicht war für mich sogar noch schöner als sein Kostüm. Er sah haargenau wie ein königlicher Bludmann aus, mit glatt rasiertem Gesicht und Augen, die mit Kajal umrahmt waren, wie es Tradition in Frostland war; eine Tradition, die auf eine Zeit zurückging, als Jäger das Blenden des Schnees erträglicher machten, indem sie sich Asche unter die Augen rieben. Es betonte das Blau seiner Augen, strahlend wie Saphire oder eine Flamme an einem windigen Tag. Sein offenes Haar umrahmte seine nun schärferen Gesichtszüge mit einem goldenen Glanz. Er hatte etwas Exotisches und Außergewöhnliches an sich, etwas Fremdes. Vielleicht lag es an seinen Händen, die nun endlich so dunkel waren, wie die Hände eines Bludmannes sein sollten. Oder vielleicht war es die Art, wie er mich ansah, als sei ich die köstlichste Leckerei der Stadt.
Er wusste, wie gut er aussah, das konnte ich an seiner stolzen Haltung und seinem übermütigen Grinsen sehen. Ich verlagerte leicht das Gewicht und schob die Hüfte unmerklich vor; den Signalen, die er aussendete, konnte ich einfach nicht widerstehen. Als ich ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte er lebensmüde Belustigung ausgestrahlt, das Draufgängertum eines Trunkenbolds. Zugleich erschien er mir als vernunftbegabter Mann, der genau wusste, dass sein Untergang unausweichlich war. Er hatte immer ein faszinierendes Maß an Wahnsinn an sich gehabt, eine heimtückische Folge seiner Bludabhängigkeit.
Doch jetzt erkannte ich, dass all die Versionen von Casper, die ich zuvor gesehen hatte, unvollständig gewesen waren, bloße Schatten dessen, wer er wirklich war. Dieses Geschöpf vor mir, dieses schöne Raubwesen von solch stolzer Haltung – das war der Mann, der er sein sollte. Und ich fragte mich, was er nun in mir sah. War ich eine Bludfrau in ihren besten Jahren, eine Königin, die bereit war, mit List und Grausamkeit um ihr Bludrecht zu kämpfen? Oder war ich immer noch die verlorene Prinzessin, ein kleines Mädchen mit winzigen Reißzähnen, das Prinzessin spielte und sich hinter dem Schutz einer Maske verbarg? Es war ein verdammt unbehagliches Gefühl, nicht zu wissen, woran man war.
Also fragte ich ihn nicht, sondern traf die Entscheidung selbst. Ich richtete mich zu voller Größe auf, hob das Kinn, trat einen aufreizenden Schritt näher auf ihn zu und fragte: »Maestro, wo ist deine Maske?«
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«, schmunzelte er hinreißend.
Verusha eilte heran, um ihm eine Halbmaske mit spitzem Schnabel als Nase zu reichen und brummelte: »Wisst ihr eigentlich, wie schwer es ist, so etwas noch einen Tag vor dem Ball aufzutreiben? Ach, aber ihr beide seid auch ein zu lästiges Pärchen. Die alte Verusha wird froh sein, wenn sie euch von hinten sieht, so viel ist sicher.«
Casper legte die Maske an und drehte sich wieder zu mir um, und ich war aufs Neue verblüfft von seinen Augen. Ihr Blau war strahlender als das schimmernde Indigo der Maske, und mit dem schwarzen Kajal sah er aus wie aus einer anderen Welt. Wir betrachteten einander, von Vogel zu Vogel, in feierlichem Schweigen. Ich wollte ihn so gerne küssen, aber das war unmöglich, zum einen wegen Verushas Gegenwart und zum anderen waren uns dabei zwei Schnäbel im Weg. Das einzige Problem bei unserem atemberaubenden Aussehen war, dass wir
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