Von der Liebe verschlungen
Einhörner an, doch die Vögel des Palastes waren stolze Geschöpfe, die mit Blut von Tellern aus gehämmertem Silber gefüttert wurden. Die herrschende Vogelfamilie war vollkommen weiß, und ihre farbigeren Brüder verbeugten sich entweder vor ihnen oder hingen schlaff in scharfen Schnäbeln. Ein passendes Stück, diese Maske, und ich fragte mich, wie sie wohl Casper für den Auftritt an meiner Seite einkleiden würde.
Verusha streckte eine Hand aus, und ich stand auf und wartete. Zuerst brachte sie mir eine Schicht Unterröcke aus duftiger Spitze. Dann Tanzschuhe. Danach das Korsett aus Kittys Laden, und ich nahm ein paar letzte tiefe Atemzüge, bevor mein altes Kindermädchen den Zauber mit den Schnüren wirkte. Das Kleid war nicht so schwer, wie ich es in Erinnerung hatte, aber vielleicht war ich auch stärker geworden. Ich stieg hinein, und Verusha half mir, es über meine Schultern hinaufzuziehen. Die dichte Seide umschmiegte meine Figur an genau den richtigen Stellen, und der tiefe Ausschnitt betonte Rundungen, die in den letzten vier Jahren und nach einer Woche guter Ernährung herangereift waren.
Als ich vor dem Ganzkörperspiegel neben einer sehr zufriedenen Ausstatterin stand, sah ich in der Tat aus wie eine magische, mythische Vogelgöttin. Ich legte den Kopf schief, und die Illusion war komplett. Das einzige Ärgernis für mich war, dass das dazu passende Collier zerstört war, nur noch ein einfaches Metallband mit ein paar einsamen Steinen darin, die in angelaufenem Silber funkelten.
Ich strich mir mit den lackierten Fingernägeln übers Schlüsselbein, und Verusha nickte betrübt und verständnisvoll. »Du hättest es ohnehin nicht anlegen können, mein Liebes. Zu leicht zu erkennen.«
»Und das Kleid nicht?«
Sie lächelte. »Der Pfau hat seine Tupfen geändert, Lieblienk. Sie werden es für eine pfiffige Nachahmung halten. Sie werden lachen, bevor du sie vernichtest.«
Ich ließ die Hand wieder sinken und wünschte mir irgendeine Beschäftigung, irgendetwas zu tun, außer schön zu sein, zu warten und mir Sorgen zu machen. Die bevorstehende Kutschfahrt wurde langsam zu einem größeren Schrecken für mich, als es der Aufstieg zur Maybuck gewesen war, aber diesmal gab es keine Hoffnung, dass ich mich zu Boden werfen und jemanden darum bitten konnte, sich auf mich zu setzen. Von hier an hieß es: Kopf hoch, Augen auf und Klauen kampfbereit.
»Ich bin bereit«, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu jemand anderem.
Verusha nickte, und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Braves Mädchen. Wenn irgendjemand den Sieg erringen kann, mein Lieblienk, meine Prinzessin, dann bist du es. Und solltest du zum Hades fahren, dann nimm diese räudige Zigeunerin mit, ja? Für mich.«
»Ich werde ihr die Kehle herausreißen.«
»Gut. Blud im ersten Schnee ist ein gutes Omen. Aztarte wird zufrieden sein.«
Ich drehte mich zögernd zu ihr um. »Glaubst du wirklich an sie, Verusha?«
Ihre runzelige Hand glitt an einen Anhänger, der in ihrem Dekolleté verschwand. Ich wusste genau, dass sich darin ein winziger Knochensplitter befand, angeblich von Aztarte, der Göttin des Bludvolkes. Ich hatte nie wirklich an sie geglaubt, schon gar nicht an sie als göttliche Herrscherin. Nicht mehr, als ich an Proserpina und Hades glaubte, und all die alten heidnischen Relikte, die der Monarchie im Herzen von Frostland vorangegangen waren. Angeblich stammten die Feodors von Aztarte selbst ab, obwohl es schon seit zehn Generationen kein rotes Haar mehr in der königlichen Familie gegeben hatte. Die Wildheit sage genug aus, hieß es.
»Wenn ich nicht an sie glauben würde, mein Mädchen, wäre ich nie so töricht, es laut zu bekennen.«
Da die Maske so schwer auf meinem Gesicht lag, konnte ich den Kopf nicht in den Nacken werfen. Aber lachen konnte ich, und meine Lippen pressten sich gegen das kalte Porzellan.
»Du warst schon immer weise«, sagte ich.
»Das ist der Grund, warum ich immer noch am Leben bin – Diplomatie und die Fähigkeit, Geheimnisse zu bewahren.« Sie schniefte. »Außerdem bin ich gut im Frisieren.«
Meine Hand lag wie festgeklebt auf dem Türknauf, und ihre Schuppen hoben sich dunkel vom glänzenden Messing ab. Und doch konnte ich die Tür nicht öffnen.
»Verusha. Kann ich das schaffen?«, fragte ich leise.
»Niemand außer dir kann es schaffen. Niemand außer dir wird es tun. Und dann wird Frostland im Land der Legenden versinken, vergessen wie geschmolzener Schnee.«
Ich wollte ihr glauben.
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