Von der Liebe verschlungen
Bedürfnissen«, sagte er schwer atmend. »Du bist vielleicht kein kleines Mädchen, aber vergiss nicht, dass ich ein Mann bin.«
Ich hob meine behandschuhte Hand an meinen Mund, an die Stelle, wo seine Wange meine gestreift hatte. Er hatte mir den ersten Kuss meines Lebens gestohlen, der Bastard. Noch ein Grund mehr, ihn bezahlen zu lassen. Seine Hände hingen herab, und er sah mir forschend in die Augen, als suche er darin nach etwas, das er aber offenbar nicht fand. Ich fühlte mich schwindlig und schwach, und hungriger denn je.
»Alles, was ich brauche, ist Blut.« Ich war überrascht, wie kleinlaut meine Stimme klingen konnte.
»Rede dir das nur immer ein. Du hast den Kuss erwidert.«
»Habe ich nicht.«
Endlich wandte er den Blick von mir, und der Augenblick endete, wie ein zerreißender Faden. Ich trat zurück und fuhr mit den Händen instinktiv an meinen Kopf, um dort über Haar zu streichen, das gar nicht mehr da war. Auch er trat einen Schritt weg von mir, wobei sein Stiefel gegen den Ledertornister stieß. Das leise Klirren lenkte meinen Blick darauf.
»Ich kann es riechen, wenn du lügst.« Er schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Und ich habe gesehen, was du in meinem Zimmer gemacht hast. Fass nie wieder meine Sachen an, oder ich stecke dich auf der Stelle zurück in den Koffer, in dem ich dich gefunden habe.«
»Die Feder und die Münze –«, fing ich an, aber er unterbrach mich, indem er mir einen Finger auf den Mund legte.
»Sprich nie wieder davon.«
Seine Worte klangen wie Felsen, die schwer zu Boden fielen. Von all seinen Drohungen und Versprechen waren das die finstersten Worte, die er bisher ausgesprochen hatte. Und ich stellte fest, dass ich entschlossen war, herauszufinden, was einem so merkwürdigen Geschöpf so wichtig sein könnte.
***
Nachdem ich keine Habseligkeiten zu packen und keine Vorbereitungen zu treffen hatte, verbrachte ich etwas Zeit damit, Tommy Pain den Bauch zu kraulen und den Ring meiner Schwester im hellen Licht von Reves Spiegel zu studieren. Jeder Bludmann konnte sehen, dass es kein Modeschmuck war. Der dunkle Diamant strahlte Macht und Seltenheit aus wie ein edles Parfum seinen Duft. Und Mr Sweeting hatte recht gehabt, was die Topase anging – sie waren noch kälter als Eis. Aber sie waren nicht der Sitz der Macht und Magie des Ringes, ausgenommen der Magie, ein Matriarchat zu erben, das gegenwärtig von einem Monster beherrscht wurde.
Von einem Monster namens Ravenna.
Sie war als reisende Mystikerin in unser Land gekommen. Mit ihren tintenschwarzen Locken, ihrer dunklen Haut und ihren großen mandelförmigen Augen hatte sie wie eine harmlose Kuriosität gewirkt. Von den Dörfern der Pinkies über die Hintertüren der Bludbarone war sie bis zu den Toren des Eispalastes gekommen und hatte auf ihrem Weg jedermann für sich eingenommen, mit Charme, List und einer Stimme, die voll und süß wie Winterwein klang.
Als ich sie zum ersten Mal sah, war ich noch ein Dreikäsehoch, der durch die Tore des Zuckerschneefests tanzte. Uns Kindern erlaubte man, am Abend die Festlichkeiten, Darsteller und Leckereien auf dem Gelände des Palastes zu genießen, doch wurden wir immer lange vor Mondaufgang zurück ins Schloss und zu Bett gebracht, wo wir dann angestrengt lauschten, um den ersten Walzer zu hören. Später, wenn dann alle Kinder schliefen, tanzten die Erwachsenen einen Tanz, der so schön und geheimnisvoll war, dass niemand je darüber sprach. Doch noch in der Dämmerung hatte Ravenna mich bei der Palastmauer gefunden, wo ich zwischen den Zirkuswagen um mein Kindermädchen herumsprang.
»Lass dir die Zukunft weissagen, Eisprinzessin«, hörte ich ihre leise Stimme von hinter der indigoblauen Seide eines mit Sternen übersäten Zeltes.
»Nur zu, kleine Schönheit«, sagte mein Kindermädchen. »Sieh, was die berühmte Ravenna dir über deine große Zukunft sagen kann.«
Ravenna war damals nur ein harmloses Schoßhündchen. Sie lächelte mich an, und ihre honigfarbene Haut ließ ihre Zähne hell schimmern.
»Gib mir deine Hand«, sagte sie, und ich erinnerte mich selbst jetzt noch daran, wie mein Zorn aufgeflackert war, dass diese gemeine Fremde es wagte, etwas von mir zu verlangen.
»Du kannst mich nicht zwingen«, antwortete ich und reckte meine vorlaute kleine Nase in die Höhe.
Und sie lachte auf, ein Laut wie ein Glockenspiel aus Eiszapfen im Wind, und sagte: »Dann ist das deine Zukunft, Prinzessin.«
Ich stampfte, kreischte, heulte und drohte, aber
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