Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
erreichte, das durchschnittlich 2000 Meter hoch ist und das die Xixia einst als heiligen Bezirk betrachteten. Neun Herrscher bestatteten sie hier und mehr als 70 führende Würdenträger ihres Volkes. Die Grabstätten erstreckten sich auf einer Fläche von viermal zehn Kilometern: 20 Meter hohe Steinaltäre, die kleinen Pyramiden glichen. Trotz der enormen Verwitterung konnte ich die Achteckform der siebenstöckigen Grabtürme gut erkennen.
30 Kilometer weiter erreichte ich Yinchan. Die Hauptstadt der autonomen Region Ningxia ist ein Industriestandort für Maschinenbau und Textilherstellung mit 650 000 Einwohnern. Für die Xixia war Yinchan im 11. Jahrhundert eine der bedeutendsten Städte, die damals »Hauptstadt des wachsenden Glücks« genannt wurde. Mittlerweile erinnern nur noch Ruinen an dieses ehemalige Handelszentrum.
Schließlich traf ich auf die breiten Fluten des Gelben Flusses (Huang-ho), wo mich ein Fährmann mit seinem Boot übersetzte und ich in die Ordos-Wüste kam, die der Huang-ho in einem weiten Bogen umschließt. In dieser ursprünglich so wüstenhaften Region sorgt eine Menge Grundwasser für viel Pflanzenwuchs. Sümpfe und Steppen wechseln mit Flusstälern, Terrassenland und Grashügeln. Dazwischen befinden sich mächtige Dünenketten.
Am 51. Tag rastete ich auf einer Anhöhe an einem Obo. Das ist ein kegelförmiger Schrein aus Stein, der einen kleinen Buddha in seinem Inneren birgt. Auf der Spitze flatterten an einem Stab weiße Gebetsfahnen. Ein alter Mann kniete vor dem Heiligtum und presste die Handflächen zusammen, während seine Lippen die Silben eines Mantras murmelten. Immer wieder rezitierte er die heilige Formel. Wohltuende Worte, die zu einem beruhigenden Summen verschmolzen und den frommen Mann in eine Art Trance versetzten, während ich mich etwas abseits auf einen erhöhten Steinblock setzte. Nach dem Gebet begrüßte mich der Alte mit nicht enden wollenden Grußformeln und goss mir aus einer bunten Thermosflasche milchigen mongolischen Tee in einen Becher. Ich kramte aus meinem Rucksack ein paar Kekse, reichte sie ihm und erzählte von meiner Wanderung. Er sagte kein einziges Wort, verstand aber fraglos, was ich in der Wüste wollte.
Während ich weiter nach Nordosten zog, kam ich mir in der großen Leere oft ganz klein und verloren vor. Wie ein Schwamm saugte die Weite meine Kräfte auf. Die Füße wurden schwerer, die Rucksackriemen bohrten sich schmerzhaft in die Schultern, und der Schweiß lief mir aus allen Poren. Kein Wunder, dass meine Konzentration nachließ und ich schließlich mehrere Navigationsfehler machte, die mich einige Male vom Kurs abbrachten. Wie besessen arbeitete ich mit Kompass und Karte, blickte immer wieder zum Horizont und suchte nach spezifischen Landmarken. Ich war froh, als ich inmitten einer großen Fläche aus Schotter und Sand einen Punkt im weiten Nichts entdeckte – und bald darauf zu einer Jurte aus Flechtweiden, Stoff und Leder kam, vor der einige Kamelhirten saßen. Bei heißem Tee und einer Portion gekochtem Hammelfleisch erfuhr ich, dass es bis zum Mausoleum Dschingis Khans, dem Ziel meiner Wanderung, nicht mehr weit war. Ich war unglaublich erleichtert. Sogleich spürte ich, dass die Worte der Mongolen ein enormer Schub für die Energiereserven meines Körpers waren. Nun konnte ich auch meiner Navigationsarbeit wieder vertrauen.
Und dann, am 61. Tag, erblickte ich Ejin Horo auf dem Ordos-Plateau, unweit von Dongsheng. In üppigem Grün erhob sich die Gedenkstätte des Dschingis Khan, für die Mongolen ein heiliger Ort. Acht weiße Palastzelte, wie sie der Khan bewohnt hatte, waren in drei achteckigen Gebäuden mit jurtenförmigen Kuppeldächern untergebracht, deren blau- und gelbglasierte Ziegel in der Sonne glänzten.
Vorbei an einigen Männern in blauen Gewändern und gelben Schärpen, die als Nachfahren mongolischer Soldaten die Gedenkstätte bewachten, trat ich in das Innere des Mausoleums, wo ich erwartungsgemäß den Mongolenfürsten antraf. In Stein gehauen. Eine fünf Meter hohe Statue in sitzender Haltung, die am Eingang des Mausoleums stand. Auf einem Altar brannten Kerzen, daneben Blumensträuße und kleine Opfergaben. Mehrmals im Jahr werden hier Feierlichkeiten zu Ehren des mächtigsten Herrschers des mongolischen Reichs abgehalten: Dann singen mongolische Mönche, werden Butterlampen angezündet und gebratene Schafe vor dem Standbild Dschingis Khans aufgebahrt. Eine Verherrlichung, die die chinesische Regierung
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