Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
ein Torkeln auf hoher See, bei dem ich hin und wieder gegen den vorderen und hinteren Sattelknauf rutsche und mir Weichteile sowie die Verlängerung des Rückens quetsche.
Chinas Ödnis, die ich nicht mit modernster Navigationstechnik bereiste, sondern nur mit Kompass und Karte, verlangte jeden Tag ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich ließ mir viel Zeit, denn bei großen Wüstendistanzen können sich leicht Fehler in die Kompasstraverse einschleichen. Und auch die Landschaft forderte all meine Konzentration und Wachheit. Mal ging es über wellige Geröllflächen, die mit windgeschliffenen Felsparcours wechselten. Dann wieder zwangen mich breite, ausgetrocknete Flusstäler zu Umwegen. Ein anderes Mal ritt ich über borkigen Verwitterungsschutt, der unter den tellergroßen Polsterhufen meiner Kamele wie Blätterteig auseinanderbrach. Und immer wieder Sand, so weit das Auge reichte.
Ich erfreute mich an den Rippeln und Fließfiguren des Sandes und genoss die völlige Unabhängigkeit des Unterwegsseins in einem schier grenzenlosen Raum.
Zu Fuß und mit Kamelen konnte ich gehen, wohin ich wollte, musste keiner Straße oder Piste folgen, konnte einfach querfeldein laufen, meinem Kurs folgen, soweit die landschaftlichen Gegebenheiten es zuließen. Alles, was ich brauchte, war Wasser und Proviant. Ansonsten war ich frei. Ein herrliches Gefühl, so selbstbestimmt unterwegs zu sein! Hier gab es niemanden, der mir Vorgaben machte oder mir reinredete. Ich war mein eigener Kapitän im Ozean der Wüste und wählte meinen Weg ganz allein, musste mich nur nach dem Wetter und der Landschaft ausrichten.
Die Wüste Badain Jaran besteht zu 80 Prozent aus Wanderdünen. Viele windmodellierte Sandhügel sind bis zu 200 oder 300 Meter hoch. Und im westlichen Teil der Wüste befindet sich der Biluthu, mit 520 Metern der höchste Sandberg der Erde. Nicht zu vergessen die etwa 140 Salzseen, die inmitten dieser hohen Dünen liegen. Einige gelten den Mongolen als heilig, sodass an den Ufern lamaistische Klöster entstanden. Das Wasser der Seen ist allerdings weitgehend salzig und ihr Mineralgehalt hoch. Nur an den äußersten Rändern einiger Seebecken tritt trinkbares Süßwasser aus tiefergelegenen Quellen hervor.
Und dann, am 17. Tag, kam jener Wahnsinnssturm, der den Himmel verfinsterte und mich zwang, hinter meinen niedersitzenden Kamelen Schutz zu suchen. Einer dieser Kara-Buran-Stürme, der alle Konturen und Distanzen auslöschte, die Farbe des Himmels verdunkelte und eine Decke der Düsternis über das Land warf, während die Atmosphäre zum Bersten mit Elektrizität geladen war. Ein Aufruhr der Natur – wild, unbändig, zügellos.
Wenn ich nur das Biwak hätte aufbauen können, doch daran war gar nicht zu denken. Die flatternden Zeltbahnen wären mir sofort aus den Händen gerissen worden und davongeflogen. Ich selbst konnte mich ja bei diesem Sturm nicht mal auf den Beinen halten. Auch sah ich nichts – zu dicht wirbelten Staub und Sand ringsumher. Der Sturm tobte, als ginge die Welt unter.
Natürlich wünschte ich, dass bald alles vorbei sein würde und ich auf meinem Schlafsack liegen könnte, um neue Kräfte zu sammeln, die ich für den weiteren Weg brauchte. Doch es hatte keinen Sinn, sich jetzt verrückt zu machen. Dadurch würde das Getöse des Sturms keine Minute früher aufhören.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so geduckt hinter meinen Kamelen lag, eingeschlossen von dunkelgrauen Gischtwogen aus wirbelndem Staub und Sand. Doch irgendwann bereitete mir das gekrümmte Liegen im lärmenden Sturm ziemliche Rückenschmerzen. Meine Muskeln hatten sich völlig verkrampft, und jede Bewegung tat weh. Gleichwohl mochte ich mich nicht zur Seite wenden oder die geduckte Stellung wechseln. Zu groß war meine Sorge, dass ich im diffusen Toben von meinen Kamelen fortgerissen werden könnte. Wenn das geschah, war ich verloren. Unmöglich, in diesem Ödland ohne die Kamele zu überleben. Ohne Wasser, ohne Proviant, das in den großen Satteltaschen steckte. Niemals würde ich aus der Wüste wieder herauskommen.
Mit gespannten Sinnen lauschte ich den tausend Geräuschen des Sturmes, während ich neben meinen Kamelen lag und trotz Hustenreiz und tränenden Augen versuchte, die Ruhe zu bewahren. Ich wusste ja, dass der Sturm früher oder später aufhören würde, so wie er immer aufhörte und weiterzog. Denn zum Glück dauert ein Sturm in der Wüste zumeist nicht lange an, schwächt sich irgendwann ab, wird zum Starkwind, der
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