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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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Hilfe an und zwangen den Bullen nur wenig später mit langen Stricken zu Boden, fesselten ihn mit Fußketten und versetzten ihm heftige Tritte und Stockschläge. Das Kamel gurgelte und hatte Schaum vor dem Maul. Es zitterte am ganzen Körper.
    »Was für ein Wahnsinn!«, schrie ich und wollte dazwischengehen. Doch die Beduinen hielten mich zurück und behaupteten, dass es keine andere Möglichkeit gebe, um das Tier zur Räson zu bringen. »Man muss einem Kamel zeigen, wer der Stärkere ist!«, erklärten sie. »Wenn sich ein Kamel nicht reiten lässt, ist es in der Wüste nicht zu gebrauchen!«
    Niemals habe ich diese Worte vergessen, denn für die Lebensform der Nomaden sind Kamele die Grundlage des Überlebens. Nur wenn ihre Tiere in den ariden Weiten »funktionieren«, erreicht eine Karawane auch ihr Ziel.
    Gleichwohl war ich damals erschrocken über die brutale Vorgehensweise der Sinai-Beduinen, die aber Wirkung zeigte: Als wir dem Kamelbullen nach zwei Stunden die Fesseln abnahmen, erhob er sich ohne feindliche Gebärde. Stattdessen zeigte er sich fügsam und geduldig, sodass wir ihm unser Gepäck aufladen konnten, um unsere Wanderung durch die Sinai-Wüste fortzusetzen.
    All das Wissen, das ich mir in jungen Jahren über die Kamele angelesen hatte, erschien mir allerdings völlig sinnlos, als ich in verschiedenen Wüstenregionen Afrikas von der Theorie in die Praxis wechselte. Man hatte mir den Vorgang, ein Kamel zu ersteigen und mit dem Tier auszureiten, als relativ einfaches Manöver geschildert. Die Wirklichkeit sah aber ganz anders aus: Sobald ein am Boden hockendes Kamel auf seinem Rücken Druck verspürt, versucht es aufzuspringen – egal, ob man bereits im Sattel sitzt oder nicht. So trieb mich manches »Schiff der Wüste« fast zum Wahnsinn: Ich wurde aus dem Sattel geschüttelt, zu Boden geworfen, empört angebrüllt und durch gespreizte Beine angepinkelt, wenn ich zu Füßen der Höckertiere im Sand lag und wie ein Rohrspatz fluchte.
    Ein anderes Mal trottete ich mit einem Kamel ganz ruhig dahin, bis es sich plötzlich mit einem Plumps hinsetzte und ich rücklings über den langen Hals zu Boden rutschte, wo mich die großen Kamelaugen anschauten, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Zudem torkelte ich oft in kreisenden Schwüngen auf dem hohen Höcker und schaukelte mir das Gesäß wund, sodass ich alle Hände voll zu tun hatte, um nicht aus dem Sattel zu rutschen.
    All diese Erlebnisse waren in ihrer Absurdität fast komisch. Zudem wurde mein Optimismus immer wieder gedämpft, und meine Enttäuschung erreichte an manchen Tagen ungeahnte Tiefen. Doch ich gab nicht auf – und schließlich gelang es mir mit viel Geduld und Geschick, im Kamelsattel zu thronen, fast 2,50 Meter über dem Erdboden. Und das Kamel ging tatsächlich mit mir dorthin, wohin ich es dirigierte.
    Was für ein Augenblick, als ich im Süden Marokkos erstmals mit zwei Dromedaren – ganz allein – hinaus in die Sahara ritt. Ich war in Hochstimmung, als ich mit den Tieren ohne Probleme zehn Kilometer zurücklegte. Dies war für mich der Anfang einer größtmöglichen Unabhängigkeit in der Wüste.
    Mittlerweile kann ich gelassen auf die Zeit zurückblicken, als mir beim Umgang mit den Kamelen alle möglichen Missgeschicke passierten. Viel Zeit habe ich seither mit den Wüstenschiffen in den Einöden verbracht und von Reise zu Reise immer etwas Neues an ihnen entdecken können, das mich überraschte. Vor allem habe ich erkannt, dass jedes Tier eine eigene, ausgeprägte Persönlichkeit besitzt Da gibt es eitle, liebenswerte, gewitzte, nervige, boshafte, traurige, ruhige, störrische, wütende, freundliche, selbstsichere, lammfromme und robuste Kamele. Auch gibt es junge, ausgemergelte und senile Tiere – sowie würdige Damen, alte Matronen, zornige Bullen, Aristokraten und Spaßvögel.
    Im Laufe der Jahre wurden die Kamele für mich viel mehr als nur ein Transportmittel. Sie waren Begleiter und Reisegefährten, die mir immer wieder das Unterwegssein in einsamer Ferne ermöglichten und mir zu einem naturgemäßen Leben in der Wüste verhalfen. Mehr noch: In den entlegensten Winkeln der Erde habe ich auf langen Wanderungen genügend Zeit gehabt, um das gleichmütige Wesen und den rätselhaften Charakter dieser Tiere intensiv kennenzulernen. Oft habe ich in großer Einsamkeit mit meinen Kamelen gesprochen, habe ihr Vertrauen gewonnen und ihnen beim seelenruhigen Wiederkäuen gelauscht. Ich habe sie gestreichelt und

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