Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
mir Karin beim Quittenwaschen geholfen, ich weiß es nicht.
Unsere Agnes war ein normales Kind, vielleicht etwas verschlossen, aber normal, sagt die Mutter.
Manchmal schenkte Agnes ihrem Ältesten zwanzig Franken, damit er sonntags die Kleider anzog, die Alois gefielen, hellblaues Hemd, grüne Krawatte. Weigerte er sich, mit in die Kirche zu gehen, verbot ihm Alois eine Woche lang den Autoschlüssel. Agnes widersprach nicht. Agnes weinte, als der Sohn in die Rekrutenschule musste. Sie zündete eine Kerze an, ließ sein Zimmer unberührt. Oft besuchte sie das Grab ihres Vaters, betete oder redete. Sie machte der alten Nachbarin die Frisur, wusch deren Böden, Agnes war Revisorin der Kirchenverwaltung. Manchmal sagte Alois: Könntest dich auch mal ein bisschen schminken. Alois ging in den Fitnessklub, salbte Haar und Gesicht. Neben die Haustür schraubte er eiserne Schnörkel, zwei große A, Agnes und Alois, umfasst von einem Herz. Agnes hatte immer Kopfweh.
P-07: Am dritten Tag (30.10.2000, 14.35 Uhr) nach der Tat erklärt Frau G., sie glaube, sie habe mit einem Messer mit schwarzem Griff Quitten gerüstet, mit einem Fleischermesser, dann müsse sie irgendwie einfach nicht mehr bei Sinnen gewesen sein und habe sich den linken Unterarm aufgeschnitten. Erklären könne sie sich dies nicht, weil sie eine so starke Linkshänderin sei, sie könne mit der rechten Hand nichts machen. Aber anscheinend habe man eine Wahnsinnskraft, wenn man so etwas mache. Und dann müsse wohl irgendwie ihre vierzehnjährige Tochter Karin hinzugekommen sein. Und dann habe sie ihr das auch gemacht. Ich denke, Karin hat dann so fest geblutet, dass ich dachte, Karin solle wegen mir nicht leiden. Karin war ein Kind, das nie etwas gegen sein Mami machte. Und da dachte ich wohl, es sei besser, wenn meine Karin gerade ganz stirbt, dann ist Karin gerade im Himmel bei Opa.
Hat Karin sich gewehrt?
Vielleicht.
Denken Sie nach.
Vielleicht schon. Vermutlich war es dann so weit, dass ich dachte… oder vielleicht ist Karin auch sofort zusammengefallen.
Und dann?, fragt die Polizistin.
Dann habe ich ihr nichts mehr getan. Nachher habe ich gedacht… ich weiß nicht, was ich nachher dachte.
Agnes weint und wimmert. Alles ist hell. Sie reibt die Hände. Die Hände schmerzen.
Am Tag der Beerdigung besucht Alois Agnes in der Psychiatrischen Klinik. Agnes redet wenig. Alois riecht nach Parfüm. Er liebt die Frauen. Ich bin nicht eifersüchtig, sagt Agnes.
P-10: Auf Vorhalt, sie habe ihre Tochter Karin nicht nur an den Armen, sondern auch am Hals verletzt, antwortet Frau G.: Sie habe ihre Tochter ganz sicher nicht am Hals geschnitten, sie wisse, dass sie geschnitten habe. Aber dass sie am Hals geschnitten habe, könne sie sich einfach nicht vorstellen. Sie sei nicht bei sich gewesen, sie müsse an einem anderen Ort gewesen sein, sie wisse das nicht mehr.
Karin war Agnes’ Allerliebstes, sagt die Mutter.
Agnes war gut. Agnes war tüchtig, passte sich an. Manchmal brachte die Mutter Salat ins Haus am Dorfrand. Agnes schüttete ihn sofort in ein eigenes Gefäß, damit Alois, wenn er zum Essen nach Hause kam, nicht merkte, dass nicht sie den Salat gewaschen hatte. Sie widersprach nie. Hörte nur zu, wenn andere über andere redeten. Eine Freundin erzählte ihr von der Untreue ihres Mannes. Die Freundin weinte, Agnes tröstete. Sie ist herzensgut, sagt die Mutter. Kam Alois nachts nicht nach Hause, zerwühlte Agnes sein Bett. Die Kinder sollten nichts merken. Niemand. Ich bin nicht eifersüchtig. Manchmal wanderte sie durch die Dörfer, fünf Kilometer weit, brachte Alois das Znüni. Wollte bei ihm sein. Agnes passte sich dem Leben an.
P-13: Es fand sich eine gewisse Unregelmäßigkeit im Elektroenzephalogramm mit einer Frequenzlabilität und Betawellenvermehrung, die als funktionelle dynamische Labilität interpretiert werden kann oder als Normvariante. Zum Ausschluss einer hirnorganischen Krankheit wurde ein Computertomogramm des Gehirns durchgeführt, dieses war altersentsprechend normal.
Warum nur, Agnes?, fragt die Mutter.
Warum?, fragen die Schwestern, als sie Agnes in der Klinik besuchen.
Agnes schweigt.
Frau G., wie war Ihre Kindheit?
Schön. Unbeschwert.
Wie ist Ihre Ehe?
Schön, antwortet Agnes, mein Mann ist arbeitsam, er kümmert sich um die Familie, bringt immer genügend Geld nach Hause. Mein Mann ist ein Lieber. Er erfüllt mir jeden Wunsch. Ich kann gegen ihn nichts sagen.
Agnes schickte ihre Söhne zur jährlichen Blutspende.
Weitere Kostenlose Bücher