Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
nicht mehr bezahlen, wir zogen nach Surrey, und das ist Gertie Harris früheste Erinnerung, das riesige Haus, in das sie zogen, Mama als Magd, Gertie an ihrer Hand, große reiche Obstbäume standen hinter dem Haus, und die Herrschaft gab ihnen ein kleines Töpfchen Konfitüre, ein sehr kleines Töpfchen, das reichen musste für eine ganze Woche. Sie blieben nur Monate, wechselten nach Hampstead ins Haus von Lord und Lady Arkwright, die in Deutschland eine Glasfabrik besaßen, anständige Leute, Eltern dreier Mädchen, das jüngste wenig älter als ich. Entwuchs dieses Kind seinen Kleidern, bekam Gertie sie, alles hatte ich, ihre Spielzeuge, ihre Puppen, ich war glücklich, durfte mit ihnen auf der gepolsterten Kirchenbank der Arkwrights sitzen, wie eine Adlige, alles hatte ich, aber nichts Eigenes, nachts, in unserem Zimmer unter dem Dach, war ein Lumpen meine Puppe, zwei Knöpfe daran, die Augen. War ich krank, schloss mich Mama ins Zimmer, sie sagte, hier bleibst du den ganzen Tag, komm nicht raus, wenn du rauskommst, steckst du ihre Kinder an, und dann verliere ich meine Stelle, Mama wollte nicht, dass ich weinte, sie sagte, hör auf zu heulen, sonst hört dich die Herrschaft, und dann verliere ich meine Stelle. Gertrude Farr, Witwe von Harry, ging oft zur Kirche, und einmal, vielleicht im Jahr 1917, bat der Priester sie zu warten, er holte einen Brief, das Schreiben eines Kaplans, eines Freundes, der Zeuge war, als Harry starb, Harry Farr habe nicht gezittert, nicht geweint, sich die Augenbinde verbeten, a finer soldier never lived, schrieb der Kaplan, einen besseren Soldaten hat es nie gegeben.
Drei Männer, strenge alte Gesichter, stehen steif neben dem Glockentürmchen in Harrow Wealdstone, 18. Februar 2007, Orden glänzen und Fahnen flattern, The Royal British Legion Winterslow Branch, ein Trompeter steht auf dem Buchstaben T, ein Dudelsackpfeifer auf P, und Gertie, den Blick ins Überall, weint stumm. Die Bürgermeisterin dreht sich zum Bischof und liest vom Blatt, Bischof, im Auftrag des Volkes des Londoner Stadtteils Harrow lade ich Sie ein, diesem Mahnmal den Namen Harry Farr beizufügen. Und der Bischof tritt zum Stein, zeichnet mit dem Finger ein Kreuz darauf, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes fügen wir diesem Mahnmal den Namen dessen bei, der im Krieg für sein Land starb, aber, in einem Akt des Unrechts, hingerichtet wurde von den eigenen Kameraden, Harry Farr. Er verlor, was ihm lieb war, er erlitt Mühsal, ertrug Gefahren und ging den Pfad der Pflicht und Aufopferung, indem er sein Leben gab, damit andere in Freiheit leben. Gertie Harris beißt sich auf die Unterlippe.
Sie trug ein weißes Kleid, Rosen darauf, ein wunderbares weißes teures Kleid mit Rosen, sie war neun Jahre alt, als ihre Mutter, Witwe von Harry Farr, William Batstone heiratete, 1922, einen Busfahrer aus der Wornington Road, der mit Harry zur Schule gegangen war. Der neue Vater atmete laut, er hatte nur eine Lunge, die andere, nach einem Giftgasangriff, war in Frankreich geblieben, er hinkte, Beindurchschuss, und er gab Gertie, als sie nach der Hochzeit nach Hause kamen, den Schlüssel zum Zimmer, du bist nun ein großes Mädchen, schließ auf, ich war sehr glücklich, überhaupt war ich sehr glücklich mein ganzes Leben lang, mit meinem neuen Vater, dann mit Frank Harris, meinem Mann, den ich im Tanzkurs kennenlernte, ich war sechzehn und liebte ihn sofort, ich liebe ihn noch, wir hatten drei Kinder, Brian, Valerie, Jane, später, als sie groß waren, erzählte er ihnen, er habe sich verliebt in mich nur deshalb, weil er durch den dünnen Rock, den ich damals trug, meine schönen Beine sah, schön sind sie nicht mehr, aber alt und geschwollen, meine lieben Beine, eins davon hat nun ein neues Hüftgelenk, seit ich vom Gehsteig fiel zwei Tage vor meinem 94. Geburtstag. Irgendwann in den fünfziger Jahren kam Harrys Schwester Nelly, die vor langer Zeit nach Amerika ausgewandert war, zu Besuch an die Wornington, North Kensington, man feierte und trank, Gertrude Farr war dabei und Gertrude Harris, Mutter und Tochter, und Nelly fragte, was hör ich da?, was erzählt man sich Seltsames, wie Harry gestorben sei? Hör auf zu fragen, sagten Harrys Brüder, darüber reden wir nicht. Als wir nach Hause fuhren, fragte ich Mama, was hat Tante Nelly gemeint? Die Mutter schwieg, dann erzählte sie. Und sagte, aber er war kein Feigling, ich weiß es, ich weiß es genau, dein Vater war kein Feigling, er war krank vom
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