Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Augen ließ, täglich das Grab ihres Mannes heimsuchte, mit dem Kleinen betete, mit ihm fastete. Eines Tages zogen Missionare durch die Gegend und lobten die Güte Gottes, Reátiga, zehnjährig, beschloss, so zu werden wie sie.
«Er war normal, fromm und gut», sagt jetzt der Bischof und deutet zum Bild des Herrn, das über dem Tisch hängt, «in seinem Acker arbeitete er hart.»
Monseñor, stimmt, was die Staatsanwaltschaft sagt?
Der Bischof schiebt die Lippen hoch.
Neunzehnjährig, verließ Reátiga die Mutter und zog nach Bogotá, Hauptstadt der Republik Kolumbien, wurde Schüler des Priesterseminars Santo Cura de Ars, Carrera 31 No 15-08 Sur, hohe Mauern, im Hof Beton. Dort war jemand, ein gutes Jahr älter, in der gleichen Klasse, Richard Armando Píffano, auch er aus dem tiefen Norden, schüchtern und dick, das jüngste von fünf Kindern, die Mutter Näherin, der Vater Tagelöhner, manchmal knieten Reátiga und Píffano vor der Statue der Muttergottes, vor dem gläsernen Schrein des Gekreuzigten, beteten sich ins Feuer, gemeinsam studierten sie Theologie an der Universidad de San Buenaventura, gemeinsam feierten sie den Tag ihrer Priesterweihe, 1. Juli 2000, 18 Uhr, Santafé de Bogotá, Reátiga und Píffano weinten in langen weißen Gewändern und legten sich vor dem Bischof auf den Boden, empfingen seinen Segen, seine Hände auf dem Scheitel.
«Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein», haucht der Bischof.
Es stimmt also?
«Ich sage nichts. Das habe ich versprochen.»
Wem haben Sie das versprochen?
«Mir!», sagt der Bischof der Diözese Soacha, Elendsviertel im Süden der Stadt, eine Million Gläubige, ein Fünftel arbeitslos, und schaut zum Bild des Herrn, ein wunderbares Gemälde sei das, sagt Monseñor Daniel Caro Borda, leider behaftet mit einem Makel, Jesu Hände, genau betrachtet, seien etwas arg feminin.
Gemeinsam verlobten sich Rafael Reátiga Rojas und Richard Armando Píffano dem Fach der Bioethik, 2001 bis 2003, Päpstliche Universität Xaveriana zu Bogotá, Carrera 7 No 40-62, Sapientia aedificavit sibi domum, Salomons Urteil als Wahlspruch, Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut.
Manchmal flogen sie in den Norden des Landes und besuchten ihre Familien in Bucaramanga und Cúcuta, Reátiga bei Píffanos, Píffano bei Reátigas.
Ende Juni 2006 wurde Rafael Reátiga Rojas, schmal und dunkel, Pfarrer an der Kathedrale Jesucristo Nuestra Paz in Soacha, und kaum im Amt, belud ihn der Bischof der Diözese mit den Aufgaben des Ökonomen, des Finanzverwalters.
Richard Armando Píffano, schüchtern, schwer, einsam, arbeitete in der Nähe, eine halbe Stunde entfernt, Parroquia San Juan de la Cruz, Stadtbezirk Kennedy, Diözese Fontibón, dort war er auch Lehrer an einer Schule, sang und spielte gern mit den Kindern, nahm sich ein Hündchen, ein Kätzchen, Simon und Sayaka, manchmal setzte er eine Perücke auf, wildes grünes graues Haar, und ließ sich fotografieren, manchmal zog er die Armeeuniform seines Schwagers an und machte den strengen General.
Ab und zu, in ihren freien Nächten, querten Reátiga und Píffano die Stadt, ließen das Elend hinter sich, die Schlachthäuser des Südens, die Ziegeleien, Staub und Lärm, Huren, Banden, sie stellten das Auto ab, wo niemand sie kannte, tranken Whiskey im Babilonia, nur Männer am Tresen, im Teatron oder Ferchos. Reátiga, jenseits von Kreuz und Kragen, hieß hier Germán, der lustige Germán.
Der ganze Reichtum der Kathedrale sei ihm zu verdanken, lobt der Bischof von Soacha. Pfarrer Reátiga, Gott hab ihn selig, sei so fromm wie charmant gewesen, wohl keiner habe es besser verstanden, die Gläubigen zu einer Spende zu ermuntern, diese Kronleuchter, diese Glasmalerei, der Kreuzweg, vierzehn Stationen, vierzehn!, Jesus wird zum Tode verurteilt, Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern, Jesus begegnet seiner Mutter, Jesus wird ans Kreuz geschlagen, Jesus stirbt am Kreuz, Jesus wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt, vierzehn Stationen!, nicht nur sieben wie andernorts, sagt der Bischof und reibt sich die kleinen Hände.
«Reátiga und Píffano waren unzertrennlich – wie ein Fingernagel und der Dreck darunter», platzt Dra. Ana Patricia Larrota Pacheco, leitende Staatsanwältin, Unidad Nacional contra el Terrorismo, ins enge Zimmer im zweiten Stock ihrer Behörde, Beton, Stacheldraht, Wachtürme, Kameras, Akten auf Tisch und Boden, die Landesfahne, längst verbleicht, steht in einer Ecke.
Sie dachten an
Weitere Kostenlose Bücher