Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Raubmord?
«An was sonst in diesem Land?», sagt Larrota, Tand an Hals und Hand, Lippenstift auf ihrem Gebiss.
Immer wieder behauptete Pfarrer Rafael Reátiga Rojas, Ökonom der Diözese Soacha, samtener Prediger zu jeder Tageszeit, er sei, unterwegs mit Geld der Kirche Gottes, überfallen worden, einmal kurz vor Mitternacht, als die Räuber ihn dazu gezwungen hätten, mit der Bankkarte des Bistums möglichst viel Geld aus dem Automaten zu holen, und dann, kurz nach Mitternacht, gleich noch einmal.
Alles erfunden?
Patricia Larrota, ganz in Gelb, Alter unbekannt, zieht die Schultern hoch, legt ihre Rechte auf einen Stapel Papier, Fall 2011-00234, zehn Ordner zu je dreihundert Seiten.
«Klar», sagt sie, «am Anfang denkt man das Übliche, Mord aus Gier, Mord aus Rache, aus Eifersucht, Wahn, was noch?»
Sie spreizt die Finger und klopft sie, einen nach dem andern, auf den Tisch.
Länger als ein Jahr habe dieses Verbrechen sie und ihre Abteilung gefesselt, länger als jeder Fall zuvor.
Weshalb, Señora?
«Weil wir sicher sein wollten, dass das Unvorstellbare tatsächlich geschah.»
Oder weil die Kirche mit im Spiel war?
Larrota lacht und nickt.
Ein fast perfektes Verbrechen sei gewesen, was in jener Nacht passierte, verhindert nur dadurch, dass die Täter, einmal im Besitz von Reátigas Handy, einem Sony Xperia S, vom Gerät nicht gelassen und so die Staatsanwaltschaft, bestückt mit feinster Elektronik, auf die richtige Spur gebracht hätten.
«Hätten die das Handy in den Kanal geworfen, wär’s Raubmord geblieben.»
In der Nähe des Seminars, in dem er einst, zusammen mit Píffano, zum Priester gereift war, kaufte Reátiga eine Wohnung, zwei Stockwerke in La Fraguita, und stattete sie mit Laminat aus, dunkle Eiche, mit einem schweren gusseisernen Ofen auf glänzendem Marmor, mit einer Sauna, blaue und weiße Kacheln, getrennt mit silbernen Streifen. Ins Wohnzimmer stellte er Weltliteratur, Homer, Cervantes, Dante, Verne, Goethe, die Gran Enciclopedia Espasa, ins Schlafzimmer einen breiten Flachbildschirm neben ein breites breites Bett.
Monseñor, wussten Sie davon?
Bischof Daniel Caro Borda legt seine Hand aufs Herz, am Finger steckt ein breiter Ring. «Von mir erfahren Sie nichts.»
Señora, wussten Sie davon?
Patricia Larrota lächelt. «Reátigas alte Mutter, in Bucaramanga, nahm sogar einen Kredit auf ihr Haus auf und überließ das Geld ihrem Priestersohn in Bogotá.»
Die Überfälle, die Reátiga behauptete, waren erfunden?
Larrota drückt die Schultern hoch, die roten roten Lippen. «Wir untersuchten die Tötung, nichts anderes.»
Wann immer er konnte, floh Rafael Reátiga Rojas, Pfarrer im Elendsviertel von Soacha, Finanzverwalter der Diözese, seine zwei staubigen engen Zimmerchen neben der Kathedrale Jesucristo Nuestra Paz und genoss die teure Wohnung, hängte ein Bild an die Wand, darauf die Eltern in Öl, Mama und Papa, den er nie gekannt hatte, und klebte ein Foto ins Gestell, Reátiga und Píffano, das ewige Paar, Congreso Internacional de Bioetica, Bogotá, 8. – 12.9.2008.
Sie fuhren das gleiche Auto, liebten dieselbe Heilige, dasselbe Parfüm, Chevrolet Aveo Gti Emotion, Martha von Bethanien, FEROM for men.
Mit Verlaub, haucht jetzt der Bischof, in Europa habe man keine Vorstellung davon, was es bedeute, hier Priester zu sein, in Soacha am Südrand des Molochs Bogotá, wo vierundfünfzig Priester in sechsunddreißig Pfarreien mehr als eine Million Gläubige betreuten.
«Sieben Messen am Sonntag!», weint Monseñor Caro Borda.
«Dreihundert Taufen im Jahr!»
«Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!»
Im Stadtteil Galicia, an einer Straße ohne Namen, umgeben von Schlamm und Hunden, baute Reátiga eine neue Kirche, weihte sie dem Señor de la Buena Esperanza, dem Herrn der Guten Hoffnung, KR 73 J CL 62 Sur. Neben das Kirchentor ließ er Sandstein setzen, darauf den Trost: Wer auf Erden hilft, einen Tempel zu bauen, der baut sein Haus im Himmelreich.
«Unermüdlich war er», klagt der Bischof.
«Das hatten wir nicht zu beurteilen», knurrt die Staatsanwältin in den Besprechungsraum, Diagonal 22 B 52-01, Edificio F, Beton, Glas und Schminke.
In manchen Nächten zog Reátiga – der lustige Germán – ohne Píffano los, Babilonia, Ferchos, Teatron.
Irgendwann Syphilis.
Dann HIV.
Schließlich Clinica Shaio, Diagonal 115 A 70C-75, Dezember 2009.
Ja, der Priester sei oft krank gewesen, sagt Bischof Daniel Caro Borda und drückt sich aus dem geblümten Sessel,
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