Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
man rauchte Gauloises, las Rimbaud, trug Kordjacken und rasierte sich Geheimratsecken, um ohne Schwierigkeit ins Kino zu kommen. Bei einer Schulfeier stellte Jörg Immendorff Aquarelle vor, 1960, ein Schriftsteller las und kaufte zwei Blätter zu fünf Mark, dann kaufte der Englischlehrer, die Deutschlehrerin, Immendorff fühlte sich begriffen und wichtig, sein Vater wollte, dass er, im Schoß der Bundeswehr, Medizin studiere, Immendorff befolgte nicht, was einer wünschte, der ihn nie hatte gewinnen lassen, Sonntag nach Sonntag, Waterloo, Austerlitz. Immendorff, der nun nicht mehr im Internat wohnte, strich dem Besitzer des Bonner Jazzkellers New Orleans Club die Wände schwarz, versah sie mit Kubistischem und hängte seine Werke auf, erste Kritik in einer Zeitung: Immendorffs Bilder strahlen Leben, zweispaltig, 1961, er löste hundertvierzig Mark. Und als schließlich einer das Gymnasium verließ, um Schüler der Kunstakademie Düsseldorf zu werden, wollte auch Immendorff nach Düsseldorf. Besteh, sprach Mama, zuerst die mittlere Reife, mir zuliebe.
Macht die Tatsache, Herr Immendorff, dass Sie eine dreijährige Tochter haben, Ihr Sterben schwieriger?
Bitte zünden Sie mir eine Zigarette an, ja.
Schauen Sie, sagt er und stößt den Rauch in die Halle, die Atelier ist, überstellt von Bildern und Farben, schauen Sie, sagt der Mensch Immendorff, es gibt ganz kurze Momente, wo ich solche Gedanken zulasse, wo ich die Tür aufmache für solche Gedanken und sie sofort wieder schließe, also ich mache sie freiwillig gar nicht auf. Ich will nicht, kann mir das nicht leisten. Ich bin zu sehr noch hier.
Er wird stumm.
Erinnern Sie sich an den Tag, da der Untergang begann?
Was heißt Untergang?, knurrt er. Also, wenn ich mich heute nun selber im Spiegel angucke, dann gucke ich heute lieber in den Spiegel als früher / ja / ja / man könnte sagen / kann sagen / wenn man so will / ich habe das Gefühl, ich sei zu einer Sache zurückgekehrt / oder ich habe einen Pfad wiedergefunden, den ich von irgendwoher noch kannte.
Mit der Hand, die ihm geblieben ist, wischt er Asche von der Hose. Pinsel stehen in Gläsern, über den großen Fenstern das Spruchband aus China, rote Schrift: Professor Immendorff Welcome to our Academy.
Flugzeuglärm.
Im Sommer vor sieben Jahren, mit seiner neuen Frau, einer jungen Bulgarin, auf Fuerteventura, entglitt ihm, der auch im Urlaub zeichnete, der Bleistift, immer wieder. Der Hausarzt wusste nicht weiter und schickte den Künstler zu einem Neurologen nach Neuss. Der untersuchte und sprach: ALS, Sie haben noch zwei Jahre, Amyotrophische Lateralsklerose, eine seltene Sache, im Gehirn sterben die Nervenzellen ab, die Ihre Muskeln steuern, ohne Impulse aus dem Hirn verkümmern die Muskeln, sie erlahmen, die Gliedmaßen zuerst, irgendwann Zunge, Kehlkopf, Lunge, unheilbar.
Ich fand das dermaßen unverschämt. Erst mal hat mich diese direkte Äußerung, Sie haben noch zwei Jahre, empört / also, so schnell war ich gar nicht, kopfmäßig, dass ich das auf mein Ende bezog, aber / aber diese Art der Offenbarung hat mich empört, der Schock kam ja erst später. Das ist / man drückt / es gibt gewisse Dinge, die einen sprachlos machen, so / also, man kann versuchen / ohne dass man schnell die weiße Fahne hisst, was gar nicht meine Art ist / also man kann schon sagen, dass, was da herum als Brocken / stellen wir uns vor, der Kern ist also verbal nicht zu beschreiben / und darum herum schwirren also Brocken, Meteoriten, die aus dem Wutzentrum weggeschleudert werden / und die kann man dann von einem Wechselbad der Empfindungen von / also / Zorn und auch / und weil man als Künstler vielleicht nur bedingt leicht / ob er es will oder nicht / über Abstraktion hantiert / ja / und der Tod das große abstrakte Finale für uns alle ist –
Immendorff schwingt den rechten Arm ins Gesicht, kratzt sich die Nase, er lässt den Arm sinken, die Hand klatscht aufs Bein. Ein Stühlchen steht hinter ihm, ein Tischchen, Farbstifte darauf, manchmal sitzt Ida hier, Meter neben dem Hochsitz des Vaters, der immer langsamer wird und dünner.
Jörg Immendorff, achtzehn, bewarb sich an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, wurde aufgenommen, Fachrichtung Bühnenbild beim berühmten Teo Otto, 1963, Jörgs Rüstung waren ein schwarzes weites Cape, ein Stock mit silbernem Knauf, er war Dandy, spielte ihn nicht, Mama schenkte Bücher, Immendorff, noch Kind, heiratete eine Studentin, zehn Jahre älter, Die große Nacht im
Weitere Kostenlose Bücher