Von Feuer und Nacht
oder der Dobro-Designierte log! Sie sah sich erneut um, hielt bei den vielen Ildiranern um sie herum aber vergeblich nach dem jungen Daro'h Ausschau. Ihr Halbbruder schien ein guter Mann zu sein, nicht ausschließlich an Rechtfertigungen und Entschuldigungen interessiert wie Udru'h. »Wo ist der Designierte-in-Bereitschaft? Hat er seine Pflichten bereits übernommen?« Vielleicht konnte Daro'h die notwendigen Veränderungen in dieser Splitter-Kolonie herbeiführen.
»Daro'h ist mit einer anderen Mission beschäftigt.« Mehr wollte Udru'h nicht sagen. Er war so ausweichend und wortkarg wie immer.
Im ildiranischen Teil der Siedlung stand Osira'h im Zugang eines einfachen Gebäudes, das sie mit ihren Geschwistern geteilt hatte, alles Kinder von Nira. Der Designierte hatte sie nicht begleitet und behauptet, sich um andere Dinge kümmern zu müssen. Ihre jüngeren Geschwister sahen voller Ehrfurcht zu ihr auf. Was wollte Udru'h jetzt mit ihren Halbbrüdern und - Schwestern anfangen? Sie wurden nicht mehr für seine Pläne gebraucht.
»Wie sind die Hydroger?«, fragte Rod'h. Er war ihr nächster Bruder, weniger als ein Jahr jünger als sie, Udru'hs Sohn. Mit Niras Erinnerungen sah Osira'h, wie ihre Mutter zum Geschlechtsverkehr mit Udru'h gezwungen worden war. Kurz nach der Geburt hatte man ihr das Kind weggenommen und es woanders aufgezogen. Der Junge hatte nie auch nur einen Hauch von Liebe für seine Mutter empfunden. Kein Wunder: Er hatte Nira nie kennengelernt. Es war nicht seine Schuld, sondern die Udru'hs.
»Die Hydroger sind so seltsam, wie wir dachten.« Osira'h nahm an einem kleinen Tisch Platz, und sie begannen zu essen, einfache Dobro-Speisen. Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, als sie erzählte, wie ihre Kapsel in die Tiefen von Qronha 3 gesunken war und sie ihre Fähigkeiten für die Kommunikation mit den Fremden benutzt hatte.
»Hattest du Angst?«, fragte ihr Bruder Gale'nh.
»Natürlich hatte ich Angst. Die Hydroger haben alle anderen umgebracht, die versuchten, mit ihnen zu kommunizieren. Ich musste besser sein als alle vor mir.«
Als Gale'nh ernst nickte, sah Osira'h eine Ähnlichkeit mit seinem Vater, dem stoischen Adar Kori'nh, den sie in zahlreichen historischen Aufzeichnungen gesehen hatte. Aus dunkleren Dokumenten wusste sie, dass dem Kommandeur der Solaren Marine befohlen worden war, Nira zu schwängern. Der Adar hatte seine Pflicht erfüllt, wie immer, aber er war sehr beschämt gewesen.
Niras zweite Tochter Tamo'l, von einem Ildiraner des Linsen-Geschlechts gezeugt, hörte aufmerksam zu. Sie und ihre Schwester Muree'n waren zu jung, um Osira'hs Aufgabe in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen. Die von einem Angehörigen des Wächter-Geschlechts gezeugte Muree'n war für ihr Alter recht kräftig gebaut und mehr an Spielen und körperlicher Aktivität interessiert. Es fiel ihr schwer, sich auf die mentalen Übungen zu konzentrieren. Osira'h fragte sich, was die Forscher mit dieser speziellen genetischen Mischung bezweckt hatten. Vielleicht hatte Udru'h nur mit Nira gespielt oder sie bestraft...
Erneut dachte sie daran, dass ihre Mutter nicht hier war, obwohl der Weise Imperator das versprochen hatte.
Sie musterte ihre Brüder und Schwestern und erinnerte sich, wie unwohl sie sich auf Ildira gefühlt hatte. Doch inzwischen war sie ohne Wurzeln und sah auch in Dobro keine Heimat mehr. Welchen Sinn hatte das Zuchtlager jetzt noch? Was sollte aus dem Lager und den menschlichen Gefangenen darin werden? Auch ihre Geschwister, die Niras Gene in sich trugen, spielten keine Rolle mehr. Würde der Weise Imperator Jora'h der Hanse das Geheimnis von Dobro preisgeben? Oder plante Udru'h, die Gefangenen umzubringen, alles einzuäschern und so zu tun, als wäre überhaupt nichts geschehen? Es hätte Osira'h nicht überrascht.
Das Essen schmeckte nach nichts. Sie zwang sich, zu kauen und zu schlucken, während ihre Brüder und Schwestern sprachen und lachten.
36 NIRA
Dobros südlicher Kontinent schien endlos zu sein. Nira blieb in Bewegung, obwohl sie gar nicht wusste, wohin sie ging. Vor langer Zeit, als Akolyth, hatte sie ihre Füße abgehärtet, indem sie durch den theronischen Wald gelaufen und zu den Weltbaumwipfeln emporgeklettert war, um dem Bewusstsein des Weltwalds dort stundenlang Geschichten vorzulesen. Seit Jahren hatte sie keine Verbindung mehr zum Wald. Sie wusste nicht einmal genau, wie viel Zeit verstrichen war.
Not und Entbehrungen hatten tiefe Narben in ihrer Seele hinterlassen, aber
Weitere Kostenlose Bücher