Von Feuer und Nacht
strömten neue Erinnerungen auf sie ein - es kam zu einem Austausch. Sie erinnerte sich an das plötzliche Öffnen von mentalen Toren beim letzten - und einzigen - Kontakt zwischen Mutter und Tochter. Sie war sehr verzweifelt gewesen und hatte telepa- thisch geschrien.
Diesmal achtete Nira darauf, keinen zu großen geistigen Druck auszuüben. Der neue Kontakt mit ihrer Tochter war ganz anders als der letzte - sie hörte Stille.
Osira'h schien sich zurückzuhalten. »Du musst noch nicht alles wissen, Mutter. Du kannst nicht alles wissen.«
Nira schlang die Arme noch etwas fester um sie. »Nicht sofort. Es genügt mir, dass wir zusammen sind.«
Sie spürte plötzliche Kälte und sah auf. Der Designierte Udru'h näherte sich mit steinernem Gesicht, begleitet von zwei Ildiranern des Wächter-Geschlechts - sie sahen aus wie jene Wächter, die Nira fast zu Tode geprügelt hatten. »Der Weise Imperator hat mich aufgefordert, Sie zu finden«, sagte Udru'h kühl und reserviert. »Mit Ihrer Flucht haben Sie es für uns alle schwieriger gemacht, auch für Sie selbst.« Als er Nira ansah, erinnerte sie sich erneut daran, wie sehr dieser Mann sie gequält hatte, wie sehr sie ihn hasste. Wie beschützend hielt sie ihre Tochter im Arm, und Osira'h erwiderte die Umarmung, gab ihrer Mutter Kraft und Zuversicht. Udru'h wandte sich an den Designierten-in-Bereitschaft. »Gute Arbeit, Daro'h. Bald werde ich meine Pflichten dir überlassen.«
43 ANTON CÓLICOS
In den Gewölben unter dem Prismapalast sah Anton von staubigen Diamantfilmen auf. »Diese Geschichten sind so vage! Ich würde alten Volkssagen keinen großen Glauben schenken.«
Vao'sh ließ sich nicht beirren. »Der Weise Imperator hat mich beauftragt, nach Informationen über den alten Krieg gegen die Hydroger zu suchen, insbesondere nach Geschichten über angebliche Bündnisse zwischen Ildiranern und Faeros. Die Suche muss hier stattfinden.« Die ausdrucksvollen Hautlappen im Gesicht des Erinnerers wechselten die Farbe. »Die alten Aufzeichnungen in den Archiven von Hyrillka enthalten noch mehr Geschichten. Ich hoffe, sie wurden bei der jüngsten Revolte nicht beschädigt. Und ich wünschte, Sie könnten mich begleiten.«
»Das würde ich gern, aber ich darf Mijistra nicht verlassen.« Dafür hatte Anton noch immer keine Erklärung.
In Begleitung ihrer Isix-Katzen näherte sich Yazra'h den beiden Gelehrten tief in den unterirdischen Tunneln. Vor kurzer Zeit hatte Anton ihr einige der klassischen irdischen Märchen erzählt, an denen sie großen Gefallen fand. Dabei hatte sie immer wieder seltsame Fragen gestellt, in der Art von:
»Wenn Rotkäppchen durch einen dunklen, gefährlichen Wald ging, wieso hatte sie dann keine Waffe in ihrem Korb?« Oder: »Wenn Goldlöckchen wusste, dass sie sich in der Hütte von drei Bären befand... Hätte sie dann nicht wachsamer sein sollen, als sie beschloss, in einem der drei Betten zu schlafen? Es wäre doch vernünftiger gewesen, eine Wache aufzustellen.« Als sich Yazra'h immer wieder über schwache weibliche Kinder beklagte, erfreute Anton sie mit Geschichten über tapfere Kriegerinnen wie Königin Boadicca. Er erzählte auch von der historischen Comic-Figur Wonder Woman.
Eine der drei Isix-Katzen kam näher und schnupperte an Antons Fingern, und er kraulte geistesabwesend ihren Kopf, woraufhin sich auch die beiden anderen Katzen näherten. Yazra'h staunte immer wieder darüber, wie sich ihre Lieblinge Anton gegenüber verhielten, aber er war nicht überrascht.
»Eine Katze ist des Gelehrten bester Freund. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, mit einer Katze auf dem Schoß Epen zu übersetzen. Es hilft bei der Konzentration.«
Yazra'h beobachtete ihre Isix-Katzen mit gerunzelter Stirn und schien von ihnen enttäuscht zu sein. Die Tiere sahen zu ihr auf, wichen jedoch nicht von Antons kraulenden Fingern zurück. »Die Katzen scheinen Sie zu mögen. Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen.«
Anton fühlte sich plötzlich eingeschüchtert von Yazra'hs geschmeidiger Schönheit, von ihrer Kraft und ihrem Selbstvertrauen. »Ah, normalerweise spreche ich nur mit scheuen Akademikern.«
Die Ildiranerin ließ die Muskeln ihrer Arme spielen. »Sie haben mir Ihre Geschichten gezeigt. Ich lade Sie zu Kampfübungen mit mir ein.« Sie wölbte die Brauen. »Auf diese Weise erwidere ich den Gefallen.«
Anton lachte. »Ich nehme lieber indirekt an großen Schlachten teil. Auf Maratha habe ich genug
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