Von Flammen verzehrt
Versteck befunden hatte.
„Vielleicht sind es ja auch nicht wirklich die sibyllinischen Bücher? Oder es ist nur eines davon“, überlegte Fay und entzog Julien ihre Hand. Der Schnitt war nicht tief, auch nicht weiter schlimm, nur dass es unangenehm brannte.
„Es ist nicht wichtig, ob es wirklich eine der verschollenen Prophezeiungen ist … es ist zumindest das, was wir finden sollten“, stellte Lamar fest und schlug neugierig das Buch auf. Obwohl es dunkel war, konnten sie die fremdartigen Buchstaben deutlich erkennen. Die alten Seiten waren rissig und die Tinte stellenweise verblasst. Große und kunstvolle Initialen zierten die Seiten.
„Könnt ihr das lesen?“ Fay blätterte ratlos durch die dicken Seiten.
„Nein. Cecil ist der Meister alter Schriften. In seinem Wahnsinn scheint er fremde Sprachen und Schriften, ja sogar Hieroglyphen geradezu aufzusaugen.“
„Was sollen wir dann damit? Wie sollen wir darin denn etwas finden?“
Fay schüttelte den Kopf. Die Zeit rann ihnen durch die Finger und sie waren der Lösung des Rätsels noch keinen Schritt weiter.
„Er kann nicht erwarten, dass wir in einem so dicken Wälzer eine bestimmte Zeile oder bestimmte Sätze finden, die seinem Spiel einen Sinn geben. Es muss einfacher sein“, überlegte Julien und holte noch einmal den Brief des Wanderers hervor.
„Also das haben wir: das Wort der Schwestern der blinden Frau … Alessa, die Sibyllen, die sibyllinischen Schriften … so weit, so gut. Aber welche Lippen sollen verstummen , damit wir den Weg der Wahrheit beschreiten können?“
Julien nahm Lamar das Buch aus der Hand und staunte über das Gewicht. Lamar lachte.
„Der Buchdeckel ist aus einer Zentimeter dicken Steinplatte.“
Als er es zuklappte, erstarrte Julien. Die Erhebungen und Vertiefungen in dem massiven Einband zeigten ein Bild, das er heute bereits einmal gesehen hatte.
„Der Bocca della Verità “, flüsterte Fay, die ihm über die Schulter schaute und es ebenfalls erkannte.
Wie eine Miniatur des Abbilds der Flussgottheit, aus deren Mund sie am Morgen die Anweisungen des Wanderers entnommen hatten.
Die Versuchung
Chloé stand vor dem Spiegel im Badezimmer. Sie neigte den Kopf, um die dunklen Striemen zu betrachten, die ihr der Wanderer mit seinen Zähnen beigebracht hatte. Langsam ließ sie ihre Finger darübergleiten und fragte sich, was mit ihr eigentlich nicht stimmte.
Sie trug ein Kleid, das schon fast einer königlichen Robe glich. Es war purpurrot und nur unter der Brust gerafft, von wo aus es dann in weiten, eleganten Falten bis auf ihre Füße fiel. Sie könnte ihre Schultern mit einem passenden, dunkelroten Pelz bedecken, der noch auf ihrem Bett lag, aber sie weigerte sich, seine Besessenheit von diesem Material an ihr ausgelebt zu sehen.
Sie musste zugeben, dass dieses Kleid sogar noch schöner war als das vom Abend zuvor, weil sie nicht ständig Sorge haben musste, es würde zu tiefe Einblicke gewähren.
Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie daran dachte, dass er ihre Brüste nicht nur schon gesehen, sondern auch berührt hatte.
„Ich bin eine dumme Gans!“, murmelte sie, als sie an die peinliche Reaktion ihres Körpers auf die ungewollte Berührung dachte. Aber, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, erschien ihr ihre Reaktion eigentlich nicht wirklich unbegreiflich.
Es war sogar ganz einfach.
Sie war jung und unerfahren – und der Wanderer ein offensichtlich erfahrener Mann. Er sah auf unerklärliche Weise gut aus, obwohl er nicht versuchte, die tödliche Gefahr, die von ihm ausging, zu vertuschen. Stattdessen schien er seine gewissenlose Kälte für Macht zu halten.
Chloé zwirbelte sich eine Locke um den Finger und steckte sie, wie so oft, wenn sie grübelte, in den Mund.
Vielleicht war das ja sogar logisch. Wann immer sie die Regeln der Gesellschaft , wie Fay es nannte, überging, und sich irgendwo etwas zu essen stahl oder eine Brieftasche klaute, fühlte sie sich stark. Dann hatte sie der Welt den Stinkefinger gezeigt und sich gut gefühlt. Am Ende war ihr der Wanderer also sogar ähnlich. Für ihn schien es keine Regeln zu geben. Er nahm sich, was er wollte und fühlte sich – sie dachte an seine geschwollene Männlichkeit – offensichtlich gut damit.
Sie fuhr über den weichen, fließenden Stoff ihres Kleides und wusste, was er vorhatte. Er wollte sie kaufen! Wie der Teufel die Seele von Unschuldigen!
Sie hatte noch nie so teure Kleider getragen, nie … sie sah sich um und
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