Von Flammen verzehrt
waren, bestätigte das feine Gespür ihrer Fingerspitzen, dass diese einzelne Beere sich von den restlichen Steinarbeiten unterschied. Wo die Lorbeerblätter weich und geschmeidig mit dem Sockel verschmolzen waren, schien sich die Frucht hart und geradezu brutal an den Untergrund zu pressen.
„Hier ist etwas“, hauchte sie leise, als könnte ihre Entdeckung Geister wecken.
Julien kniete neben ihr, und sie führte seine Hand an die Stelle, die ihr so ungewöhnlich vorkam. Als jagte Strom durch ihren Körper, fühlte sie, wie auch er von Spannung ergriffen wurde.
„Du hast recht. Es scheint … auf den Sockel aufgesetzt zu sein.“
„Kannst du es herausziehen?“, fragte Lamar, und Julien versuchte, die kleine Beere zu umfassen.
„Oder hineindrücken? … Wie einen Knopf“, schlug Fay vor, und Julien versuchte, ihre Vorschläge umzusetzen, aber er bekam die marmorne Frucht nicht fest genug zu fassen, um sie herausziehen zu können. Auch einfaches Hineindrücken misslang, aber ein wenig Gesteinspulver rieselte heraus.
„Verdammt! Der Mechanismus – oder was immer sich hinter diesem Ding verbirgt, scheint vom Staub und der Witterung der Jahrhunderte verklemmt. Es rührt sich kaum“, schimpfte Julien.
Lamar zog Fay beiseite und reichte ihm einen faustgroßen Stein.
„Hier, Juls. Versuch es damit.“
Er nickte und wog den Stein in seiner Hand, ehe er ausholte und ihn mit ganzer Kraft auf die Marmorbeere schlug. Tatsächlich grub sich die Frucht etwas tiefer in den Sockel.
Fay jubelt und feuerte ihn an, es ein weiteres Mal zu versuchen.
Der nächste Schlag trieb die Beere noch tiefer, und ein leises Knacken war unter ihnen am Sockel zu hören.
„Was war das?“ Lamar sprang von den Überresten des ehemaligen Tempels, um sich anzusehen, was dieses Geräusch verursacht hatte.
„Und?“, fragte Fay von oben.
„Ich sehe nichts. Versuch es noch einmal, Juls, vielleicht war es nicht hart genug.“
„Es ist fast schon eben mit dem Untergrund“, erklärte der, holte aber erneut aus und ließ den Stein ein weiteres Mal auf den Marmorsockel niederfahren.
Diesmal klackte es laut, und die Beere versank vollständig in der kunstvollen Bordüre der Grundmauern des Tempels.
Lamar stieß einen ehrfürchtigen Fluch aus und winkte ihnen, zu ihm zu kommen.
„Das müsst ihr euch ansehen!“, rief er und schob seine Hand in den mannshohen Spalt, der entstanden war, als die seitliche, gut zwanzig Zentimeter dicke Marmorplatte wie eine Tür aufgeschwungen war.
„Was in aller Welt ist das?“, fragte Fay, als er die Platte noch weiter beiseiteschob und das Mondlicht auf den edelsteinbesetzten Kasten schien, der aussah wie ein ägyptischer Sarkophag für Kinder.
Glänzende, messerscharf geschliffene Rubine zierten den Deckel, und Julien zog die Augenbrauen nach oben.
„Dieser Bastard! Glaubt er, wir machen es ihm so einfach?“
Lamar lachte und rieb sich über den rasierten Teil seines Schädels.
„Ich finde ja, er beweist Humor.“
„Was meint ihr damit? Denkt ihr, der Wanderer hat das für uns … vorbereitet? Wie könnte er das? Ich meine … diese Öffnung, sie schien mir viele Jahre – oder länger –verschlossen gewesen zu sein“, warf Fay ein.
Lamar neigte den Kopf zur Seite, als wöge er seine Gedanken ab.
„Ich will nicht behaupten, dass er das für uns gemacht hat, aber er musste wissen, dass wir hier etwas finden würden – und sicher weiß er auch, was sich in dieser Truhe verbirgt. Die Rubine … nun, sie galten vielleicht ursprünglich nicht uns, aber es muss ihn amüsieren, zu wissen, dass wir Gefahr laufen würden, sie zu berühren.“
Fay krempelte sich die Ärmel der Bluse über die Ellbogen und grinste.
„Nun, das werdet ihr aber nicht.“
Sie drängte sich an den Männern vorbei und streckte die Hände aus. Vorsichtig schob sie den Deckel auf und zuckte zurück, als sie sich an einem der Steine kratzte.
„Autsch!“, keuchte sie und sah auf den blutigen Schnitt an ihrem Finger. Sofort war Julien bei ihr und zog sie an sich. Er nahm ihre Hand und sah sich die Verletzung besorgt an.
„Was ist passiert?“, fragte er und tupfte das Blut behutsam von ihrem Handballen.
„Es ist nicht schlimm“, wehrte Fay ab. „Ich hab mich nur gekratzt. Diese verdammten Steine sind echt messerscharf!“
Inzwischen hatte Lamar den Inhalt der Truhe geborgen und kam mit einem dicken Buch zu ihnen.
„Ich hatte drei Bücher erwartet“, erklärte er und hob das eine hoch, das sich in dem
Weitere Kostenlose Bücher