Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
gekommen – vor allem im Kino und bei Werbung für Tierheime, wo sie einem frierende Hunde mit riesengroßen Kulleraugen zeigen –, aber ich hatte geglaubt, inzwischen könnte ich gar nicht mehr weinen. Doch als Doktor Gilyard gegangen war, krampfte sich in mir etwas zusammen, und ich schluchzte, bis ich keine Luft mehr bekam. Bis ich glaubte, sterben zu müssen.
Wahrscheinlich hätte ich nicht mehr damit aufgehört, wenn nicht Naomi und Lily gekommen wären, um mich da rauszuholen. Dann hätte ich einen Tag, eine Woche, ein Jahr lang geheult, was weiß ich. Irgendwann hörte ich jedoch Schritte, und es legte sich jemand neben mich. Ich weiß, dass es Lily war, denn die Matratze gab unter ihr kaum nach. Danach kletterte Naomi auf mich drauf, so, wie Olivia das in St. Jude’s immer gemacht hatte, wenn sie wollte, dass ich aufstand.
»Weg mit dir!«, flüsterte ich heiser.
Naomi vergrub ihr Gesicht in meinen Haaren. »Nicht, bis du mit uns eine rauchst.«
»Ich will keine rauchen.«
»Oje, zu Hilfe! Sie stirbt! Schwester!«, rief sie in Richtung Tür, während Lily neben mir kicherte. »Schwester! Rufen Sie sofort einen Krankenwagen!«
»Verdammte Scheiße, verpisst euch!«
»Eine Dame sagt nicht ›verdammte Scheiße‹, eine Dame sagt ›Entschuldigung‹«, rief sie.
Sie wälzte sich kichernd von mir herunter, und keine Ahnung, wie wir es geschafft haben, zu dritt auf meinem schmalen Bett zu liegen, aber wir haben es geschafft. Wie gut, dass Lily weniger Platz als meine Wolldecke brauchte.
»Wie heißt er denn?«, fragte Naomi, als ich mich mit einem mürrischen Seufzer auf den Rücken drehte.
»Wer?«
Lily setzte sich auf. »Ist es Sid?«
Ich starrte sie an. »Was?«
»Jetzt bedräng sie nicht so, Lil!«, wies Naomi sie zurecht. »Sie hat seit sechs Stunden keine Zigarette mehr geraucht.«
Lily sah mich mit einem kleinmädchenhaften Augenaufschlag an. »Tut mir leid. Ich hab nur gehört, wie du im Schlaf diesen Namen gesagt hast. Deshalb dachte ich, vielleicht ist er es.«
»Du hast mir beim Schlafen zugesehen, Edward Cullen?«
»Natürlich nicht! Das war, als du das letzte Mal vor dem Fernseher eingeschlafen bist, du weißt schon, als wir
Mord ist ihr Hobby
angeguckt haben, und –«
»Halt den Mund, Lil!«, unterbrach sie Naomi.
»Ja, am besten haltet ihr ihn beide. Haltet einfach den Mund! Es gibt keinen ER .«
»Es gibt immer einen ER «, verkündete Naomi mit einem tiefen Seufzer.
Ich musste lachen. »Muss denn immer ein Junge dahinterstecken, wenn ein Mädchen Probleme hat?«
Naomi zog daraufhin nur eine Augenbraue hoch, und deshalb meinte ich mürrisch: »Ich will nicht darüber reden.«
»Du liebst ihn immer noch!«, rief Lily, deren Gesicht nur aus ihren weit aufgerissenen Augen zu bestehen schien.
»Tu ich nicht.«
»Doch, tust du!«, riefen sie beide wie aus einem Mund.
»Tu ich nicht! Es war gar nichts. Wir haben uns noch nicht mal –«
Ich brachte den Satz nicht zu Ende, aber das brauchte ich auch nicht, denn Lily schüttelte bereits den Kopf. »Umso schlimmer.«
»…?«
»Dann kommst du nie darüber hinweg.«
Ich lachte, aber Naomi pikste mir mit dem Finger in die Seite. »Sie hat recht. Du kommst nie darüber hinweg, weil du es einfach nicht mehr aus dir rauskriegst. Es steckt für immer in dir drin.«
Ich lachte wieder. »Für immer? Jetzt übertreib mal nicht so.«
»Ich übertreibe nicht! Es ist wie bei einem Traum. Wenn du einen Traum zu Ende geträumt hast, erinnerst du dich nie daran. Du erinnerst dich nur daran, wenn er unterbrochen wurde, weil du aufgewacht bist oder so. Und bei der Liebe ist es ganz ähnlich. Wenn eine Beziehung ihren natürlichen Verlauf nimmt und irgendwann einfach auströpfelt und zu Ende geht, dann ist er dir danach vollkommen egal. Aber wenn irgendwas dazwischenkommt, weil es einfach der falsche Zeitpunkt ist oder weil er mit einer anderen Frau zusammen ist, dann brauchst du ewig, bis du die Sache vergisst. Als hätte man auf Repeat oder auf den Pausenknopf gedrückt.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Nein, es ist wahr.« Lily nickte. »Wir haben in der Schule ein Gedicht durchgenommen, und da hieß es auch, dass nur eine Liebe überdauert – die unerfüllte Liebe.«
Ich starrte sie ungläubig an. »Lily, du bist der Wahnsinn. Du kennst
Hello Kitty
nicht, aber du kannst Somerset Maugham zitieren.«
»Na, wie auch immer.« Naomi winkte ab. »Wenn du es jemals hier raus schaffen willst, musst du darüber reden. Du kannst dich
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