Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
»Darmvirus« hätte mir eigentlich einen Aufschub von einer Woche verschaffen sollen, aber Doktor Gilyard rauschte einfach mit einem Stuhl in mein Zimmer herein. Sie sagte nichts, setzte sich einfach nur neben mein Bett.
Einen Moment lang wollte ich die Decke über den Kopf ziehen, doch dann richtete ich mich mit einem dumpfen Seufzer auf. »Es geht mir gut«, sagte ich. Meine Stimme klang heiser. Wie eingerostet.
»Freut mich zu hören«, sagte sie mit einem schmallippigen Lächeln. »Wo waren wir stehen geblieben?«
Ich schielte zu ihr hin. »Wie bitte?«
Sie griff in ihre Tasche und zog ihr Notizbuch heraus, was bei mir sofort zu Gänsehaut führte. »Hat das nicht bis zur nächsten Sitzung Zeit?«
»Und wann soll die stattfinden, Emily?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, es geht mir schon besser.«
»Du schluckst lieber Abführmittel, als seinen Namen zu nennen. Erwarte nicht, dass ich das gut finde.«
Ich wandte das Gesicht ab und starrte auf die Buchstaben, die in die Wand neben meinem Bett gekratzt waren.
»Schau mich an, Emily.«
Ich schüttelte den Kopf. Alles in meinem Schädel fühlte sich löcherig und schwammig an. »Ich kann nicht. Ich bring es nicht über mich. Das ist so verdammt hart.«
»Keiner hat behauptet, dass es leicht sein würde.«
»Was ich nicht kapiere …« Ich starrte auf die Bettdecke hinunter und fuhr mit dem Finger über das billige Wollgewebe. »Was passiert ist, ist passiert. Warum immer noch weiter darüber reden?«
»Das hat der Richter so entschieden, und deshalb hat man dich hierhergeschickt.«
Ich schaute sie an. »Aber Sie könnten denen doch einfach sagen, dass bei mir alles in Ordnung ist. Könnten Sie das nicht?«
»Du würdest lieber ins normale Gefängnis gehen, als seinen Namen laut auszusprechen?«
Ich blickte wieder auf die Decke hinunter. Als ich keine Antwort gab, hörte ich sie aufseufzen. »Du kannst nicht ins Hauptgebäude hinüber, Emily. Dafür bist du zu verletzlich.«
Darauf lachte ich nur. »Ich bin Harry Kolls Tochter. Mich würde keiner anrühren.«
»Ein Gefängnis ist nicht nur eine Verwahranstalt, Emily. Es soll der Wiedereingliederung dienen. Dir wäre darin nicht geholfen.«
»Ich bin böse«, sagte ich mit einem schwachen Lächeln. »Gegen das Böse hilft keine Pille.«
»Du bist nicht böse, Emily, und es wird dir besser gehen.«
»Wie?«
»Indem du darüber redest.«
»Ich kann reden. Ich kann über Juliet reden, bis ich heiser bin.« Trotzig reckte ich das Kinn vor. »Sie ist eine verdammte Schlampe, und ich hasse sie. Ich hasse sie. Sie hat mein Leben ruiniert. Und es tut mir auch nicht leid, was ich getan habe. Ich würde es wieder tun, wenn ich könnte. Ich würde am liebsten alles verbrennen, was ihr gehört.«
Doktor Gilyard wartete ab, bis ich mit meiner Hasspredigt zu Ende war und Luft holen musste. Dann nickte sie. »Du willst über die schlimmen Dinge reden, die du getan hast, Emily. Aber du willst nicht über die guten Dinge reden.«
Ich streckte die Arme aus. »Hier gibt es nichts Gutes.«
»Du kannst über sie reden, weil du sie hasst. Aber du kannst nicht über ihn reden, weil du ihn liebst.«
Ich glotzte sie nur an und schüttelte den Kopf.
»Und das ist auch vollkommen verständlich. Du bist froh, dich deiner Gefühle für Juliet entledigen zu können, weil sie dich belasten. Aber du klammerst dich an deinen Gefühlen für ihn fest, weil du durch sie zum Menschen wirst. Du bist dann nicht mehr nur Emily Koll, die Tochter des Schwerverbrechers.«
Ich schüttelte weiter den Kopf, als könnte ich dadurch Doktor Gilyard und das, was sie zu mir sagte, loswerden.
»Er weckt bei dir den Wunsch, ein besserer Mensch zu sein, aber du glaubst nicht daran.«
Ich presste die Finger gegen die Schläfen. »Stopp!«
»Das hier ist die Linie, Emily«, sagte sie. »Du musst sie überqueren. Du musst mir auf die andere Seite folgen.«
»Gehen Sie!«, stöhnte ich. »Raus!«
Ich dachte nicht, dass sie daraufhin wirklich gehen würde. Doch sie stand auf. Aber bevor sie hinausging, griff sie in ihre Tasche und holte ein Stück Kreide heraus. Sie hielt sie mir unter die Nase, und dann zog sie damit auf dem Boden eine Linie zwischen dem Bett und der Tür.
»Wenn du dafür bereit bist«, sagte sie und schloss die Tür hinter sich.
[zurück]
S eitdem Doktor Gilyard gegangen ist, heule ich.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal geweint habe. Früher sind mir andauernd die Tränen
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