Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
genauso.«
»Ganz genau, und deshalb bohre ich da auch nicht weiter nach.« Ich wollte noch eine Dose Bier herausziehen, aber es war keine mehr übrig.
»Ich glaub, dass sie Alkoholikerin ist«, sagte er hastig.
Ich fiel fast vom Baum. Nicht dass ich das bei seiner Mutter nicht schon vermutet hatte. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass er es mir so direkt sagen würde.
»Wie?«
»Ich hab überall in der Wohnung Flaschen gefunden.«
»Wo denn überall?«
»Ganz hinten in ihrem Kleiderschrank. Unter der Küchenspüle hinter den Putzmitteln.«
»Und was für Flaschen?«
»Zuerst Wein. Jetzt Wodka.« Er ließ seine Bierdose kreisen, und ich konnte das Bier darin schwappen hören. »Du kennst doch diesen billigen Fusel aus dem Supermarktregal. Die Ein-Liter-Flaschen.«
»Wie lange geht das denn schon?«
Er zuckte mit den Achseln. »Sie hat immer schon gern was getrunken. Ich erinnere mich daran, wie meine Tante Bridget und sie am Freitagabend in der Küche saßen, als ich noch klein war, und wie sie Lieder gesungen und dazu Southern Comfort mit Limonade getrunken haben. Aber seit dem Tod meines Vaters ist es schlimmer geworden. Sie trinkt jetzt auch allein und fast jeden Abend. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Was sagt denn Nancy?«
Er sah mich an und fuhr sich dann mit der Zunge über die Lippen. »Ich hab mit ihr nicht darüber geredet.«
Mein Herz klopfte wieder bis zum Hals. »Warum nicht?«
»Ich bring’s nicht fertig.« Er schüttelte den Kopf. »Es läuft so gut zwischen uns. Alles ist so heiter und schön, wenn wir zusammen sind. Und ich brauche einfach, dass eine Sache in meinem Leben rund läuft, verstehst du das?« Er runzelte die Stirn. »Ich will mit ihr keine Problemgespräche führen. Bin ich deswegen ein Feigling?«
Ich dachte eine Weile nach, dann sah ich ihn an. »Mein Cousin Ian hatte ein Alkoholproblem.« Ich zögerte. Die Geschichte gehörte ebenfalls zu Emily, aber es war nur ein winziges Puzzlestück, und Sid brauchte so dringend meine Hilfe, deshalb fuhr ich fort. »Seine Frau hat die ganze schwierige Zeit mit ihm durchgestanden. Die vielen Jahre, in denen er immer Streit mit ihr anfing, nur damit er einen Vorwand hatte, wieder in den Pub zu gehen. In denen er ihr ständig Geld aus ihrem Geldbeutel klaute. Als er dann erfolgreich eine Entziehungskur gemacht hatte, hat er sich von ihr getrennt.«
»Wie? Warum das denn?«
»Weil er das alles hinter sich zurücklassen wollte und es nicht konnte, solange sie ihn immer wieder daran erinnerte, schon allein durch ihre Gegenwart. Und sie hat sich auch daran erinnert. Deshalb hat er ihr erklärt, dass er für sie immer ein Alkoholiker bleiben würde, und hat sie verlassen.«
Sid blickte mich nachdenklich an, dann nickte er.
»Bewahr dir die eine Sache, die in deinem Leben rund läuft, Sid«, sagte ich lächelnd zu ihm. »Aber wenn du jemanden brauchst, mit dem du reden kannst, oder wenn du mal wieder auf einen Baum klettern willst, dann lass es mich wissen. Ich habe ein Elefantengedächtnis.«
Eine Gruppe von Schulmädchen kam in diesem Moment am Baum vorbei. Sie hatten einander untergehakt und kicherten hysterisch, als ein Jack-Russell-Terrier versuchte, nach ihren Waden zu schnappen. Der Besitzer des Hundes zerrte ihn zwar fort, doch vorher musste ein Mädchen noch laut aufschreien – ein Schrei wie von Janet Leigh – und davonrennen. Es war eine so komische Szene, dass ich gar nicht anders konnte, als zu lachen. Als ich wieder aufblickte, merkte ich, dass Sid mich ansah.
»Hier«, sagte ich und griff in die Plastiktüte. »Halt die Hand auf.«
»Warum?«
»Weißt du, was wir beide jetzt brauchen?« Ich zog ein Röhrchen Smarties heraus und schüttelte es. Er grinste und reckte mir dann seine Handfläche hin. Ich schüttete sie alle hinein und nahm mir danach eines davon. »Ich ess nur die orangen, den Rest kannst du haben.«
Er runzelte die Stirn, als er mir dabei zusah, wie ich mit dem Zeigefinger herumstocherte, um noch einen orangen Smartie zu finden. »Hä? Warum das denn?«
»Weil sie die Außenseiter sind.«
»Hä? Die sind doch alle gleich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sind sie nicht. Die orangen sind anders als der Rest.«
»Erzähl keinen Blödsinn.«
Ich wusste, dass ich ihm jetzt eine von meinen verrückten Lieblingsspielereien verriet, aber es musste einfach sein.
»Wenn ich’s doch sag! Ich werd es dir beweisen.« Ich nahm einen rosa Smartie und hielt ihn hoch. »Also, die Smarties in Rosa,
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