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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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herüber. »Warum hab ich das vorher noch nie gemacht? Es wäre mir echt nie eingefallen, auf einen Baum zu klettern.«
    »Darfst du mich nicht fragen«, meinte ich achselzuckend und nahm einen Schluck Bier. »Im Sommer ist es noch besser, mit dem ganzen Laub, dann kann man ganz versteckt da sitzen.« Aber auch jetzt war es großartig. Es roch so frisch, nach feuchten Blättern und Erde und altem Holz.
    »Ich kann’s noch immer gar nicht fassen.« Sid schüttelte den Kopf. »Kommt mir vor, als würde ich London zum ersten Mal sehen.«
    Und so war es auch. Er sah London zum ersten Mal aus dieser Perspektive, deshalb wollte ich ja, dass er mit mir auf den Baum hochkletterte. Manchmal tut es einfach gut, den Blickwinkel etwas zu verändern. Dinge zu sehen, die man normalerweise nicht sieht oder auch gar nicht sehen soll, wie die Dächer von Lastwagen oder die Unterwäsche von Leuten, die sie auf der Leine zum Trocknen aufgehängt haben.
    Selbst der Himmel hatte von hier oben eine andere Farbe. Er war von einem tiefen Dunkelrot – so wie Hustensaft. Ich hätte am liebsten die Zunge rausgestreckt und daran geleckt. Wahrscheinlich machte es mir deshalb so großen Spaß, auf Bäume zu klettern, weil ich mich dann dem Himmel näher fühlte. Als bräuchte ich mich nur ein wenig zu strecken, und dann könnte ich ihn berühren und er würde mir gehören. Ich glaube, Sid ging es in dem Moment genauso, denn er blickte auch irgendwie so besitzergreifend in den Himmel hoch.
    Unter uns waren die Schritte eines Mannes zu hören, und ich spähte hinunter. Er hielt ein Handy ans Ohr und sagte ununterbrochen: »Ja, finde ich auch.«
    Sid und ich blickten dem Mann eine Weile nach, und irgendwann meinte Sid zu mir: »Er hat nicht gemerkt, dass wir hier oben sind.«
    Ich lächelte. »Nein«, sagte ich.
    »Das ist echt unglaublich, Rose.«
    Sid schüttelte wieder den Kopf und nahm endlich einen Schluck Bier. Ich hatte meine Dose schon leer getrunken und machte mir gerade eine zweite auf, als er sich nach links drehte und auf die drei Hochhäuser in der Ferne zeigte, die fast bis zu den Wolken reichten.
    »Man kann von hier sogar sehen, wo ich wohne!«
    Ich drehte mich ebenfalls in die Richtung. »In welchem wohnst du denn?«
    »Dem mittleren.«
    »Ich hab früher mal in dem linken gewohnt.«
    Das hätte ich ihm besser nicht erzählt, das war mir schon klar, aber in unserem Versteck im Baum fühlte ich mich sicher. Geborgen.
    Er starrte mich mit offenem Mund an. »Du hast mal in Scarbrook gewohnt?«
    »Ja.«
    »Ich hab immer gedacht, du stammst irgendwo von hier in der Nähe. Wohnst du nicht in Islington?«
    »Inzwischen ja. Aber ich bin in Scarbrook geboren. Wortwörtlich. Der Lift war nämlich kaputt, und deshalb hat meine Mutter mich im Treppenhaus zur Welt gebracht. Offensichtlich hab ich’s kaum erwarten können, rauszukommen.«
    Ich musste kichern, doch er starrte mich an. »Du willst mich jetzt auf den Arm nehmen, oder? Du hörst dich gar nicht so an, als ob du von dort wärst.«
    »Bin ich aber.«
    »Welches Stockwerk?«
    »Zwölftes. Penthouse, Baby.«
    »Warum hast du das nie erzählt?«
    »Keine Ahnung«, meinte ich und blickte schnell weg. »Ich hab dich zu Nancy sagen hören, dass du von dort bist, aber mit mir hast du ja nie wirklich geredet.«
    Kaum hatte ich es ausgesprochen, war die Luft zwischen uns zum Zerreißen gespannt. Ich weiß nicht, warum ich es überhaupt gesagt habe. Ich wollte es gar nicht. Wahrscheinlich stimmte es ja sogar. Aber dass ich mich darüber ärgerte, war mir vorher nicht bewusst gewesen, erst in dem Moment, als ich es aussprach.
    »Schon in Ordnung. Du hast mich ja nicht mal wahrgenommen.« Ich lachte nervös auf und versuchte, locker zu klingen. »Ich glaub, du hast gar nicht richtig gemerkt, dass es mich auch gibt.«
    Er antwortete darauf nichts, sah mich nur eine Weile komisch an.
    Ich bemühte mich, gleichgültig zu wirken. War ja nicht seine Schuld; es war einfach diese Kraft, diese Macht, die bewirkte, dass Juliet und er sich von Anfang an zueinander hingezogen fühlten. Manchmal schaute er sie an, als wüsste er gar nicht, was er dagegen tun sollte. Mauern stürzten ein, Hausdächer flogen durch die Luft, Möbel wurden wie trockenes Laub davongewirbelt, bis auf der Welt nur noch sie übrig blieb. Er staunte sie an, als gäbe es nur sie. Als wäre ringsum Wüste – bis auf Juliet.
    Niemand wird mich jemals auf diese Weise anschauen, und jetzt erst recht nicht mehr.
    Ich sah ihn damals

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