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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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verdrücken, aber er hielt mich am Ellenbogen fest. »Hey, Ro. Wo willst du hin?«, fragte er.
    »Oh, ’tschuldigung!«, sagte ich, zog den Ausweis ab und gab ihn ihm zurück.
    Dann versuchte ich noch einmal, mich zu verdrücken, doch er ließ meinen Ellenbogen nicht los. »Das hab ich nicht gemeint!« Die Band war so laut, dass er sich zu mir beugen und mir ins Ohr brüllen musste. Ich spürte die Hitze seines Atems, und es durchfuhr mich so stark, dass ich am liebsten losgeheult hätte. »Was ist denn los, Ro?«
    »Nichts!«, wollte ich erwidern, aber man kann das nicht brüllen, ohne dass es gleich so klingt, als gäbe es ein Problem.
    »Tut mir leid! Wir wollen aber nicht, dass du dich ausgeschlossen fühlst!«
    Wir. Wir. Wir. Ich hasse dieses Wort. Noch nie habe ich mich durch ein Wort einsamer gefühlt.
    Ich hörte, wie Juliet fragte, was denn los sei, und zog meinen Arm weg. »Fühl ich mich auch nicht!«
    »Wohin willst du denn dann?«, rief er mir nach, als ich mich davonzwängte.
    »Noch mal Getränkenachschub holen! Wenn die Beastie Boys erst einmal spielen, mach ich das nicht mehr!«
    Aber ich ging nicht zur Bar, sondern kippte mein Bier hinunter und steuerte dann auf die Tür zu, die hinaus in die Lobby führte. Vorher machte ich mir den Spaß, mich noch einmal durch dieselbe Gruppe von Kerlen hindurchzuzwängen, die wieder johlten, als sie mich sahen. Doch diesmal hatte ich die Hände frei und legte sie dem Pograbscher auf die Schultern, während ich ihm mein Knie in die Eier rammte. Er sackte zusammen, und ich ging weiter.
    Weiter und weiter, durch die Tür in die Lobby, hinaus auf die Straße und hinunter in die U-Bahn.
    »Was hast du gemacht, nachdem du sie beim Küssen beobachtet hattest?«, hörte ich Doktor Gilyard fragen, aber ich konnte nicht aufhören, auf die Schreibtischunterlage und auf meinen Namen zu starren. Er kam mir ganz fremd vor. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass er zu mir gehörte.
    »Ich bin gegangen.«
    »Wohin bist du gegangen, Emily?«
    »Zum Haus von Juliets Pflegeeltern.«
    »Warum?«
    Meine Augen starrten ins Nirgendwo, als ich mich daran erinnerte, wie ich an dem Abend durch das Gartentor zum Haus gegangen bin. Dort stand Mike an der Hintertür und rauchte eine Zigarette. Er runzelte die Stirn, als er mich sah. »Was machst du hier? Wolltet ihr nicht zusammen auf das Konzert der Beastie Boys gehen, Nancy und du?«
    Ich antwortete nicht, sondern leckte mir nur über die Lippen. Er sah mich an, und seine Augen waren auf einmal groß und schwarz. Als er näher kam, leckte ich mir noch einmal über die Lippen. »Lass mich auch mal«, sagte ich, nahm seine Zigarette und sorgte dafür, dass sich unsere Finger dabei berührten.
    »Ich hab zu Ende gebracht, was ich angefangen hatte«, sagte ich zu Doktor Gilyard.
    Verschwommen registrierte ich, dass die Schreibtischunterlage auf einmal voller nasser Flecken war. Ich starrte sie an. Wahrscheinlich war das der Wendepunkt gewesen zwischen Juliet und mir. Dieser Augenblick mit Mike. Der Moment, in dem ich genug davon hatte, nur ein wenig herumzuzündeln, sondern dafür sorgte, dass alles, was sie hatte, lichterloh in Flammen aufging.

[zurück]
     
     
     
    A m nächsten Morgen wachte ich mit dem Geschmack von Zigaretten im Mund auf.
    Einen Moment lang wusste ich nicht, wo ich war. In der Luft lag noch der süße Duft des Parfüms, das ich am Abend vorher benutzt hatte. Deshalb dachte ich zuerst, ich sei in St. Jude’s. Als ich die Augen öffnete, erwartete ich halb, gleich Olivia auf dem Bett gegenüber zu sehen, das Gesicht auf dem mit Eyeliner beschmierten Kopfkissen, ein Bein unter ihrer Bettdecke hervorbaumelnd. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass dort mein Schrank stand, und ich begriff, dass ich in London war – und dann kam mit einem Schlag alles zurück.
    So geht es mir jeden Morgen, auch heute noch. Es gibt beim Aufwachen immer eine Minute, in der alles ohne Konturen und wie unter Wasser ist, so wie auf der Postkarte von Monet, die Juliet sich an die Innenseite ihres Schließfachs geklebt hatte. Da ist mein Kopf wahrscheinlich noch leer. Rein. Und in dieser Minute ist alles wieder ruhig und ordentlich. Nichts ist kaputt. Mein Leben ist so, wie es eigentlich sein sollte. Ich bin in St. Jude’s. Mein Vater ist zu Hause, isst sein Frühstück mit Spiegeleiern und Speck und liest die Zeitung. Onkel Alex hört sich in seinem Auto die Fußballergebnisse an und flucht auf das Radio. Und Duck schläft auf dem

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