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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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Anzug, den mein Vater sich auf dem Bett bereitgelegt hat.
    Ich könnte liebend gern auf die restlichen dreiundzwanzig Stunden und neunundfünfzig Minuten des Tages verzichten, wenn ich nur diese eine Minute behalten dürfte. In dieser einen Minute könnte ich ein ganzes Leben lang leben. In ihr gibt es Emily Koll noch, in dieser Minute. Aber ich kann sie nicht festhalten, und sobald sie vorbei ist, kehrt alles zurück. Ich erinnere mich an alles. Die Risse tauchen wieder auf. Es ist grausam, jeden Tag diese Gnadenfrist zu haben. Denn von allem, was ich vergessen möchte, ist es nicht so sehr, was ich getan habe, sondern was ich früher einmal hatte. Wer ich war.
    Niemand erinnert sich mit irgendeiner Form der Zuneigung an Emily Koll, warum sollte ich es also tun?
    An diesem Morgen war es schlimmer als sonst, weil ich mich nicht nur daran erinnert habe, was Juliet getan hatte, sondern auch daran, was ich getan hatte – und zwar mit Mike –, und diese Erinnerung lastete bleischwer auf mir. Ich versuchte aufzustehen, aber ich konnte nicht. Meine Knochen fühlten sich so dick wie Äste an, mein Herz war so schwer wie ein Fels. Ich hatte das Gefühl, niemals mehr die Kraft aufzubringen, aufzustehen; dass ich für immer hier auf diesem Bett, in diesem Zimmer und mit diesem Parfümduft in der Luft würde weiterleben müssen.
    Ich versuchte es noch einmal, und diesmal schaffte ich es, den Kopf so weit vom Kissen zu heben, dass ich auf den Wecker auf meinem Nachttischchen blicken konnte. Ich musste mehrmals blinzeln, bevor die roten Striche auf dem Display eine sinnvolle Anordnung ergaben, aber schließlich erkannte ich, dass es 11 : 11 Uhr war. Wünsch dir was, dachte ich. Doch da war mein Kopf auch schon wieder schwer auf das Kissen gesunken.
    Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es bereits ein Uhr mittags, und ich fühlte mich noch schlechter. Mir tat alles weh, sogar meine Fingernägel. Und mein Kopf – oh weh, mein Kopf –, ich hatte das Gefühl, als wäre er mit einer seltsamen Masse gefüllt, so ähnlich wie der gelbe Schaumstoff, mit dem billige Sofas ausgestopft sind. Ich hatte die Vorhänge nicht zugezogen, bevor ich ins Bett gegangen war; deshalb schien die Sonne jetzt durchs Fenster und stach mir in die Augen. Als ich die Bettdecke über den Kopf ziehen wollte, merkte ich, dass sie gar nicht da war. Ich lag nicht unter ihr, ich lag auf ihr, vollständig angezogen, in den stinkigen, verschwitzten Klamotten vom Tag davor.
    Ich hatte noch nicht mal meine Chucks ausgezogen.
    Stöhnend setzte ich mich auf und griff blind nach der Wasserflasche auf meinem Nachttischchen. Ich leerte sie in wenigen Schlucken, stellte gleichzeitig mein Handy an und wartete. Ein paar Sekunden später leuchtete mir eine Liste mit SMS und Voicemail-Nachrichten entgegen. Ich zuckte zusammen, als es zu klingeln anfing, und noch einmal, als ich las, dass es Mike war. Und als reichte das noch nicht, hämmerte in diesem Moment auch noch jemand gegen meine Wohnungstür.
    Mein ganzer Körper verkrampfte sich, meine Finger umklammerten das Handy. Ich wartete und hoffte, es würde nur jemand sein, der den Stromzähler ablesen oder von mir eine Spende für irgendwas haben wollte. Aber das Klopfen wurde lauter und eindringlicher, bis ich es mit der Angst zu tun bekam. Bestimmt würden sie gleich die Tür eintreten.
    Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich in den Flur schlich und durch das Guckloch spähte.
    Juliet.
    »Okay«, murmelte ich, und meine Nackenmuskeln entspannten sich etwas. Ich machte auf.
    Sie stand auf der Fußmatte und blickte mich herausfordernd an. »Dann bist du also noch am Leben.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Was war denn gestern Abend mit dir los?«
    »Es ging mir nicht gut«, sagte ich, und es kostete mich nicht viel Anstrengung, jämmerlich zu klingen.
    »Wir haben überall nach dir gesucht, das hat uns den Auftritt der Beastie Boys ganz schön verdorben. Warum gehst du nicht ans Telefon?«
    »Ich hab mein Handy verloren.«
    Sie zeigte auf meine Hand. »Und was ist das da?«
    »Es lag unter dem Sofa«, sagte ich und steckte das Handy in meine Jeans, falls Mike es noch mal versuchen sollte und sie die Nummer erkannte. »Ich hab’s grad erst wiedergefunden.«
    »Sids Mutter ist im Krankenhaus«, sagte sie. Schleuderte es mir wie einen Felsbrocken vor die Füße. Meine Beine sackten beinahe unter mir weg, und ich wollte nach dem Türrahmen greifen, um mich festzuhalten. Da merkte ich, dass ich

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