Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
rauen Händen drückte mir der freundliche Herr eine Kiste, gefüllt mit Obst und Gemüse, in den Arm, warf mir strahlend ein »Guten Appetit!« zu und war schon wieder auf und davon.
Neugierig schleppte ich die Box in die Küche. Sie war einigermaßen prosaisch. Ich hatte mir eine fest gezimmerte Holzkiste vorgestellt, an deren Brettern noch der Lehm von der letzten Kartoffelernte klebte. Von wegen: Mein tolles Gemüse wurde mir in grüner Hartplaste geliefert, eingeschlagen in einen Plastikbeutel. Der Inhalt war dafür grandios: fünf gelbe Mohrrüben und zwei dicke Pastinaken, die dank der Erdspuren, die an der schrumpeligen Oberfläche klebten, keinen Zweifel daran ließen, dass sie bis vor kurzem noch tief im märkischen Boden gesteckt hatten. Ein prächtiger Kürbis mit fester, grün-gelb gestreifter Schale, der schon in rohem Zustand an den Geschmack herbstlich-köstlicher, orangeroter Suppe erinnerte; dazu ein Bund glatter Petersilie und eine |53| braune Papiertüte mit Steinchampignons. Und alles war kühl und roch nach Land, als sei es gerade erst geerntet worden.
Ich war so begeistert, dass ich sofort Schrat in die Küche rief. Im Gegensatz zu mir hat er sein Atelier in unserer Wohnung und arbeitet zu Hause. Er kam herein, griff nach den Pilzen und roch neugierig daran. Dann fischte er sich einen aus der Papiertüte, brach kurzerhand den Stiel ab, biss hinein und gab mir das andere Stück. Es schmeckte unglaublich gut. Kein Vergleich zu der Ware, die man gewöhnlich im Supermarkt erhält.
Schrat lugte in die Bio-Kiste, ob es darin noch mehr zu finden gab. Mit spitzen Fingern zog er ein Bund Bananen heraus. »Ah, die märkische Banane. Hier drei besonders hübsche Exemplare«, rief er entzückt. Ich musste lachen. Das hatte ich nun von meinem so fabelhaft ortsypischen Sortiment. Offenbar kauften die Anbieter, wenn ihnen das Angebot nicht abwechslungsreich genug erschien, ausgewählte Bio-Produkte aus anderen Regionen. Das musste ich unbedingt monieren. Lieber einen zweiten Kürbis als »märkische Bananen«.
Den Rest packte ich zufrieden in den Kühlschrank, und Schrat verzog sich wieder in sein Atelier. Mein Bedarf an Grünzeug war erst einmal gedeckt. Sollte es nicht für eine Woche reichen, könnte ich eine noch größere Kiste bestellen. Soweit der Website zu entnehmen war, gab es auch Butter, Eier, Milch, Brot und sehr viel mehr im Angebot, praktisch alles, was das Herz begehrt.
Kurze Zeit später machte ich mich an die Verwertung meiner Naturkost. Zuerst waren die Pastinaken dran. Während ich sie aus dem Kühlschrank fischte, ihre runzlige Haut unter fließendem Wasser abrieb und dann sparsam |54| schälte, erinnerte ich mich an die Zeit, in der ich mit Schrat vorübergehend in England gelebt hatte. Während er an der Kunstschule der Londoner Universität seinen Master of Fine Arts machte, arbeitete ich als Auslandskorrespondentin für verschiedene deutschsprachige Zeitungen.
Damals, es war Ende der neunziger Jahre, hatten wir die Pastinake überhaupt erst kennengelernt. Als sie uns zum ersten Mal von Freunden serviert wurde, hatten wir nicht die geringste Ahnung, was das sei. Sie wird in England bevorzugt gar gekocht, mit Kartoffelmus vermischt und zu Fleisch serviert. Der leicht süßlich schmeckende Brei, der dann in Schüsseln dampfend auf dem Tisch steht, erinnert in Geschmack und Konsistenz an gestampfte Bataten, also Süßkartoffeln. Auf unsere neugierigen Blicke und Fragen hin reagierten unsere Gastgeber ihrerseits mit Erstaunen. Auf Englisch, erfuhren wir, hieße dieses Gemüse »parsnip«, wir müssten es aber eigentlich aus Deutschland kennen, denn es sei Importware und käme vom Kontinent. Eilfertig sprang der Hausherr vom gedeckten Tisch auf und zog ein deutsch-englisches Wörterbuch aus dem Bücherregal. Er schlug die passende Stelle nach und hielt sie mir unter die Nase: »Hier, sieh selbst. Das ist ein Wort aus eurer Muttersprache.«
Ungläubig las ich die deutsche Entsprechung: Pastinake. Wir hatten diese Vokabel noch nie gehört, geschweige denn je wissentlich ein Gemüse dieser Art verzehrt. Wenige Wochen später kamen Schrats Eltern zu Besuch aus Deutschland, und wir erzählten ihnen die Geschichte. Sie waren ebenso überrascht. Daraufhin erstand Schrat in einem Londoner Gartencenter ein Tütchen mit Parsnip-Samen, überreichte sie zum Abschied feierlich seinen Eltern |55| und bat sie, das kostbare Saatgut versuchsweise in ihrem heimischen Kleingarten in Thüringen
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