Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
nicht mehr überall dabei sein kann. Er muss aussteigen und verzichten – und sei es nur auf das Gefühl dazuzugehören. Wie schreibt Susanne Beyer so treffend in ihrem
Spiegel -Bei trag Leben im Stand-by-Modus
: »Sich mit Muße zu beschäftigen bedeutet immer, über das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft nachzudenken, über den Wunsch dazuzugehören und den manchmal nötigen Abstand.« Die Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit, die Muße mit sich bringt, bergen immer auch die Gefahr, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Mein Vetter war dran. Er entschuldigte sich tausendmal, er stünde gerade fürchterlich unter Druck. Die Zeitung hätte einen Beitrag über den Bau veröffentlicht, den sein Team gerade fertiggestellt habe. Jetzt wollten unzählige Medien darüber berichten. Es sei kaum zum Aushalten. Pausenlos klingle sein Telefon. Selbst das Sekretariat käme dagegen nicht mehr an. Aber selbstverständlich könnten wir uns heute Abend verabreden. Eigentlich hätte seine Frau und er noch nichts vor.
Ich war erleichtert. Nicht ich war zu langsam geworden, sondern er stand im Moment extrem unter Strom. Ich dachte einen Moment lang nach und beschloss, das Abendessen zu verschieben. Es wäre sowieso zu spät geworden, um die nötigen Zutaten noch zu besorgen. Dadurch |79| wäre ich meinerseits in Stress geraten. Das hätte der Suppe nicht gutgetan.
Wir vereinbarten einen neuen Termin, und mein Vetter freute sich. Jetzt war er derjenige, der erleichtert aufatmen konnte.
|81| 4. VON SIEBZIG AUF SECHZIG:
MULTITASKING
Während ich an meinen Manuskripten sitze, recherchiere ich gleichzeitig im Internet, checke meine E-Mails und schreibe auch noch hektisch eine SMS. Woher kommt der Drang zum Multitasking? Wer oder was treibt mich an? Ich nehme mir vor, weniger Dinge gleichzeitig zu tun.
|83| Zehn Tage später saßen Schrat und ich mit Hans und seiner Frau um unseren Küchentisch, und ich erzählte von meinem Selbstversuch. Sie waren begeistert. Wenn doch nur jeder diesen Versuch wagen würde, meinte Hans. Dann würde sich schlagartig alles ändern. Aber wir wussten alle, wie schwierig das zu realisieren war. Ob Freiberufler wie Schrat und ich oder Festangestellte wie meine Verwandten: Erfolgreich im Beruf sind die schnellen, die wachen, die flexiblen Menschen. Kaum einem gelingt es, sich mit einem so gewagten Konzept durchzusetzen wie der Schreinermeister und Möbelrestaurator, bei dem mein Vetter in die Lehre gegangen war. Nicht zuletzt lag die Zeit, in der er dort gearbeitet hatte, schon einige Jahre zurück. Erfolgreich durch Muße und Langsamkeit – das klang paradox. Das klang wie ein schöner Traum, fernab jeglicher Realität.
Am schlimmsten sei es, wenn wieder einmal alles gleichzeitig geschehe, meinte mein Vetter. Wochenlang meldete sich kein Mensch, und dann wollten plötzlich alle zum selben Zeitpunkt etwas von ihm. Schrat meinte, da helfe nur Multitasking, aber Hans widersprach heftig. Während er mit dem einen Journalisten telefoniere und ihm seinen Bau erläutere, könne er schließlich nicht gleichzeitig mit einem zweiten sprechen. Das sicherlich nicht, meinte Schrat, aber den zweiten Anrufer per SMS auf später vertrösten und gleichzeitig eine Mail absetzen. Hans schnaubte nur unwillig durch die Nase.
Doch Schrat hatte natürlich recht: Dank unserer technischen |84| Möglichkeiten können wir vielerlei gleichzeitig erledigen. Mit unseren Notebooks, Blackberrys oder Smartphones können wir auf unterschiedlichen Wegen zeitgleich mit mehreren Partnern kommunizieren, E-Mails und SMS austauschen oder gar fotografieren, die Bilder gleich noch verschicken und in Sekundenschnelle aller Welt zeigen, in welchem Winkel der Erde wir uns gerade befinden und was es dort zu sehen gibt. Wir sind nicht nur über ein Medium präsent, sondern auf zahlreichen Kanälen erreichbar. Je nachdem, auf welche Art wir angesprochen werden, reagieren wir entsprechend. Es ist wie ein spielerischer Fechtkampf mit mehreren Gegnern.
Früher gab es nicht einmal tragbare Telefone. Damals konnte maximal einer im Haushalt mit der Außenwelt kommunizieren und hing sprichwörtlich an der Strippe. Ich erinnere mich noch gut an das extralange Kabel, das ich mir besorgt hatte, damit ich, den Apparat mit der altmodischen Wählscheibe in der einen und den Hörer mit der anderen Hand ans Ohr gedrückt, sowohl im Schlafzimmer als auch in Küche oder Bad telefonieren konnte. Überallhin
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