Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
zerrte ich das endlose Ding hinter mir her.
Heute haben mehrere Personen im Haushalt gleichzeitig die Möglichkeit, zu telefonieren und zusätzlich im Internet zu surfen. Es wirkt bisweilen so, als könnten alle Menschen gleichzeitig mit fast allen anderen Menschen auf der Welt in Kontakt treten.
Der technische Fortschritt hat unsere Kommunikation verdichtet. Jeder versucht, ihn sich auf seine Art zugutekommen zu lassen. Der eine stellt sich einen Klingelton ein, der ihn, während der am PC sitzt und schreibt, informiert, dass eine neue Mail eingetroffen ist. Der andere nimmt das Mobiltelefon mit zum Fußballturnier seiner |85| Kinder, damit er auch beim Sport erreichbar bleibt. Während in der Mikrowelle das Abendessen schmurgelt und der Fernseher läuft, hängen die einen rasch noch die Wäsche auf oder recherchieren im Blackberry eine Jahreszahl. Die anderen haben sich zu Hause den PC in die Küche gestellt, damit sie jederzeit das passende Rezept aus dem Internet fischen können, bevor sie anfangen zu kochen. Während der Mixer Eier, Zucker und Mehl zum Keksteig verrührt, checken sie rasch noch ihre E-Mails und buchen die nächste Ferienreise.
Das ist allerdings wahnsinnig anstrengend. Was mit Multitasking bezeichnet wird, ist, selbst wenn man es einigermaßen beherrscht, ausgesprochen kraftraubend und – wie sich herausgestellt hat – keineswegs effizient.
Die Zeit
veröffentlichte jüngst einen Beitrag, der genau das bestätigte. Schon lange hätten Psychologen vermutet, so der Autor Max Rauner, das Gehirn verarbeite Informationen und Reize nicht parallel, sondern seriell. Irgendwo im Gehirn gibt es einen Engpass, vor dem sich die Informationen quasi hintereinander aufreihen müssen. Bottleneck-Effekt wird das genannt. Vor drei Jahren machten Hirnforscher diesen Flaschenhals erstmals mit einem Kernspintomografen sichtbar. Ein Areal im präfrontalen Kortex hinter der linken Schläfe, klein wie ein Stück Würfelzucker, war während des Multitaskings besonders aktiv. Wie ein Türsteher, der erst in die Gesichter der Wartenden schauen muss, scheint dieser Teil des Gehirns zu entscheiden, welche Aufgabe als Nächstes an die Reihe kommt. Und das kostet Zeit. Ein Mensch, der zwei Dinge gleichzeitig tut, wird also immer eine davon vernachlässigen, wenn nicht gar beide.
Davon kann ich ein Lied singen. Erst neulich wieder |86| habe ich ein Mittagessen mit meiner Freundin Anna verpasst, weil ich auf den Mann von der
Märkischen Kiste
gewartet habe, an einem Artikel für das nächste
Merian - Heft
saß und mir zusätzlich vorgenommen hatte, einen Hortplatz für Murkel zu erstreiten. Vier Dinge gleichzeitig sind einfach zu viel für mein Hirn. Dabei arbeitet Anna gar nicht weit von mir. Ich hätte nur aus der Tür und um zwei Ecken gehen müssen und wäre schon da gewesen. Auch schaue ich nie in den Briefkasten, bevor ich mein erstes Schreibpensum absolviert habe. Das lenkt mich zu sehr ab.
Doch an diesem Tag war alles anders. Schrat war verreist, und ich dachte, ich müsste die Zeitung holen, damit der Kasten nicht verstopft. Prompt fiel mir der Brief vom Bezirksamt in die Hände, die Antwort auf den von uns beantragten Hortplatz. Jetzt nahm das Unglück seinen Lauf. »Der von Ihnen geltend gemachte Bedarf kann nicht festgestellt werden«, las ich darin mit Entsetzen, dahinter maschinengedruckt in schönstem Amtsdeutsch: »Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig.« Also rief ich im Bezirksamt an und versuchte die zuständige Sachbearbeiterin zu erreichen. Mein Artikel blieb darüber natürlich liegen. Und die Verabredung mit Anna habe ich auch vergessen.
Es war nicht das erste Mal, dass ich in die Multitasking-Falle getappt war. Selbst wenn ich keinen Termin habe, nicht außer Haus muss und einen Tag lang nur am Schreibtisch sitze, habe ich tausend Dinge gleichzeitig im Kopf. Während ich an meinem Text schreibe, recherchiere ich gleichzeitig im Internet, plane über www.bahn . de und google.map meine nächste Lesereise und prüfe zwischendurch noch, ob ich vielleicht neue E-Mails bekommen |87| habe. Es hätte ja sein können, dass eine Nachricht eingegangen war, die noch am selben Tag für die Nachmittagsplanung meiner Kinder Bedeutung hatte.
Warum pausenlos dieses Multitasking? Kommt die Motivation dazu von außen, oder ist sie mir ein inneres Bedürfnis? Muss ich wirklich unbedingt in der Lage sein, unentwegt mehrere Dinge gleichzeitig zu tun?
Am schlimmsten sind allgemeine Unwägbarkeiten, die
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