Von jetzt auf gleich
dass der Jesus-Typ vielleicht mein Bruder war.
»Hi, Butterblume«, sagte Dirk.
Dann kam noch ein Typ herein.
»Was machst du denn hier«, fauchte die Person, die angeblich meine Mutter war, ihn an.
»Todd hat mich angerufen«, sagte er und schaute auf das Jesus-Shirt. Ich vermutete, dass der Name meines Bruders Todd war. Ich blickte in seine Richtung.
»Todd?«, fragte ich.
»Ja, Jordy. Hier bin ich«, sagte er. Er zitterte. Er muss ein wirklich guter Bruder sein, dachte ich. Er schien sich mehr um mich zu sorgen als der Rest der Familie.
»Was hast du diesmal getan?«, fragte meine Schwester den neuen Typen. »Sie verprügelt?«
»Sam, sie ist von einem Baseball am Kopf getroffen worden«, sagte Todd.
»Du hast hier nichts zu suchen«, sagte die Mutter-Person zu dem neuen Typen. »Bitte geh.« Er sah wirklich deprimiert aus. Er wandte sich an meinen Bruder Todd und zog ihn zur Seite.
»Hör zu, sie ist ja offensichtlich in guten Händen, deshalb haue ich jetzt ab«, sagte er.
»Okay«, sagte Todd.
»Ich werde wiederkommen, wenn es nicht so voll ist.« Mein Bruder nickte dem Typen, den meine Mutter hasste, verständnisvoll zu. Das war alles ziemlich verwirrend.
»Also leidet sie wieder unter Amnesie?«, fragte Dirk.
»Ja«, sagte Todd.
»Das heißt, dass sie sich an rein gar nichts erinnert?«
»Nein, Dirk, das ist bei Amnesie normal.«
»Und was ist mit dem, was sie seit dem letzten Mal erlebt hat?«
»Es scheint so, dass sie sich an überhaupt nichts mehr erinnert«, sagte mein lächelnder Vater.
***
Nachdem alle gegangen waren, blieb ich mit Todd alleine. Er schaute mich weiter mit so einem seltsamen Blick an, den er schon die ganze Zeit draufhatte, so als wollte er mich etwas fragen oder mir etwas sagen. Aber ich hatte keinen blassen Schimmer, worum es gehen könnte. Und offen gesagt, machte es mich nervös. So nervös, dass ich einfach die Augen schloss und einschlief.
Ich träumte, dass ich in einem Tanzclub war, wo mich alle kannten, nur ich keinen. Jeder kannte jeden, alle tanzten und versuchten mich zu überreden, mitzumachen. Aus welchem Grund auch immer war ich absolut dagegen. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich nicht tanzen konnte, oder ob ich was gegen Tanzen hatte oder beides. Auf jeden Fall wurde ich hin und her gerissen und wehrte mich mit Händen und Füßen dagegen. Ich riss mich von den vielen Armen los und drehte mich so plötzlich um, dass ich wach wurde.
Todd saß immer noch da und beobachtete mich.
»Hey«, setzte er an.
»Hey«, sagte ich, ein bisschen peinlich berührt, weil ich nicht wusste, ob ich gesabbert hatte. »Ich bin sicher, dass es sehr aufregend ist, mir beim Schlafen zuzusehen.«
»Ich bin einfach nur glücklich, dass du okay bist … mehr oder weniger.«
»Du bist mehr oder weniger glücklich, dass ich okay bin? Oder bist du glücklich, dass ich mehr oder weniger okay bin?«
»Das Zweite«, sagte er. Und dann tat er es wieder – er blinzelte und sah mich dann ernst an, so als wollte er etwas entschlüsseln.
»Was?!«, fragte ich schließlich. »Warum siehst du mich so an?«
»Ist das echt?«, fragte er. »Ich meine, ich glaube ja. Ich will nur ganz sicher sein. Es ist so schräg! Ich meine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?«
»Wovon sprichst du?«, fragte ich.
»Ist das echt?« wiederholte er.
»Ist was echt?«
»Weißt du das wirklich nicht?«
Ich wusste beim besten Willen nicht, worauf er hinauswollte, also starrte ich ihn einfach an. Ich dachte, ich müsste seine Anwesenheit wertschätzen, wo der Rest meiner Familie schon gegangen war, aber er kam mir immer noch total seltsam vor.
»Okay, das wird sich jetzt merkwürdig anhören«, sagte er.
»Okay …?«
»Halt dich fest«, sagte er und schaute in Richtung Tür.
Dann sagte er in ruhigem Ton: »Bis gestern hast du Amnesie nur vorgetäuscht.«
Das war tatsächlich das Lächerlichste, was ich jemals gehört hatte. Noch lächerlicher, als dass ich mit den beiden sehr schmalen Frauen verwandt sein sollte.
»Das stimmt. Ich war der Einzige, der das gewusst hat. Das war ein ganz verrückter Plan von dir, und ich als dein bester Freund und Immer-zur-Stelle-Typ … –«
»Mein bester Freund? Du bist überhaupt nicht mein Bruder?«, fragte ich, jetzt noch verwirrter.
»Dein Bruder?«, sagte er und neigte den Kopf zur Seite, als wäre es eine abwegige Vermutung. »Wer sagt, dass ich dein Bruder bin?«
Da fiel mir ein, dass ihn mir niemand als solchen vorgestellt hatte.
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