Von Kamen nach Corleone
verspiegelten Lancia einsteigt, den der italienische Staat fast jedem Lokalpolitiker zur Verfügung stellt, sondern in einen schwindsüchtigen Fiat Punto. Wenn Rosaria in der Lokalredaktion des Mattino in Caserta arbeitet, warten die beiden Leibwächter unten auf der Straße auf sie, die selten vor Mitternacht die Redaktion verlässt.
Rosarias Büro ist mönchisch kahl, die Aussicht deprimierend. Den Betonbunkern, Baugerüsten und Satellitenantennen vor ihrem Fenster wendet Rosaria den Rücken zu. Vor dem Schreibtisch liegen staubige Papierstapel, eine kaputte Jalousie, daneben steht ein Aktenschrank. An der Tür hängt außen ein Blatt mit »Nützlichen Anweisungen für Journalistenkollegen, die auf eine Unterredung mit Rosaria Capacchione warten«. Darunter Ratschläge wie: »Die C. schläft lange und läuft erst am Nachmittag auf Hochtouren, deshalb ist es besser, sie nicht vor zwölf Uhr anzurufen.« Oder: »Die C. mag es nicht, wenn man ihr widerspricht.« Oder: »Die C. darf nicht im Profil fotografiert werden.« Seitdem Rosaria Capacchione bedroht wurde und man ihr Leibwächter gab, wurde sie selbst zum Gegenstand der Berichterstattung. Jedes Mal, wenn Fernsehreporter von den Machenschaften der Casalesi berichten, wird Rosaria Capacchione interviewt, kettenrauchend an ihrem Schreibtisch in der Redaktion sitzend.
Sie habe eine laizistische Einstellung zu ihrem Beruf, sagt sie kühl. Sie führe keinen Krieg gegen die Mafia, sondern schreibe nur das auf, was sie wisse. Und das ist nicht wenig, nach zwanzig Jahren. Oft weiß sie mehr als die Staatsanwälte, die hier oft nur so lange arbeiten, bis es ihnen gelingt, sich wieder versetzen zu lassen.
»Man sagt von mir, dass ich böse sei«, sagt Rosaria. »Aber ich mache nichts anderes, als zu informieren. Dinge zusammenzufügen.«
Als das Telefon klingelt, faucht sie die Namen einiger Bosse in den Hörer, erinnert an einige Camorraprozesse – »Denk an Spartacus due!«, knurrt verdrießlich und dann sofort wieder versöhnlich, bis man merkt, dass sie nicht mit einem schlecht erzogenen Kind, sondern mit einem Staatsanwalt spricht.
Beruflich bedingt, muss sie auch Kontakte zu den Anwälten der Bosse pflegen. Wenn der Anwalt seinen Klienten jedoch über die Klage hinaus noch berate, betrachte sie ihn nicht mehr als Anwalt, sondern als Camorrista, sagt Rosaria.
Wenn es hier Preußen gäbe, Rosaria wäre eine. Sie will keine Antimafiaheilige sein, sie will nur über das berichten, was sie weiß. Und genau das fürchtet die Camorra, der es stets um das Geschäft geht. Und wenn ihr Ruf durch Rosarias Enthüllungen ruiniert ist, gestalten sich die Geschäfte mit den Unternehmern und den Politikern schwieriger.
Rosaria lebt allein, hat keine Kinder – aber fünf Geschwister, die samt Schwägern und Schwägerinnen, Nichten und Neffen über sie wachen wie eine Löwenfamilie. Niemand habe je zu ihr gesagt: »Hör auf damit!« Weder ihre Geschwister noch ihre Freunde. Auch keiner ihrer Kollegen.
»Weil ich sie sonst von meiner Liste gestrichen hätte«, sagt Rosaria.
Unlängst hat man bei ihr eingebrochen. Gestohlen wurde nichts – außer einem Preis, den sie für ihre Antimafiaberichterstattung erhalten hat. Eine Warnung. Wir könnten, wenn wir nur wollten. Und in der Eigentümerversammlung sorgte sich ein Hausbewohner über eine etwaige Wertminderung der Wohnungen wegen der von der Mafia bedrohten Nachbarin. Daraufhin sei er fast von den anderen Mietern gelyncht worden.
Natürlich macht es Rosaria glücklich, wenn sie so nachdrücklich verteidigt wird. Denn ein von der Mafia bedrohter Journalist ist vor allem eines: allein. Das sagte mir Alberto Spampinato. Der Gründer des Osservatorio sui cronisti minacciati e le notizie oscurate con la violenza , des»Nationalen Observatoriums für bedrohte Journalisten und gewaltsam unterdrückte Informationen« ist Redakteur der Nachrichtenagentur Ansa – und Bruder des 1972 von der Mafia ermordeten Journalisten Giovanni Spampinato. In den letzten dreißig Jahren ermordete die Mafia in Italien dreizehn Journalisten. Ich hatte ihn in Rom auf dem Antimafiakongress getroffen, einen Mann mit dunkel verschatteten Augen und einem akkuraten Seitenscheitel, der inmitten der kahlgeschorenen Schädel der Mehrheit seiner Journalistenkollegen wirkte, als sei er aus einem längst vergangenem Jahrhundert aufgetaucht.
Die ersten, die dem von der Mafia bedrohten Journalisten in den Rücken fallen, seien die Kollegen selbst, stellte Alberto
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