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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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mir der Wirt allerdings streng verbietet. Anstatt ständig zu arbeiten, soll ich lieber essen, essen, essen, Mozzarella mit Tomaten und eingelegte Auberginen und frittierte Zucchiniblüten. Er belädt den Tisch mit Vorspeisen, und ich versuche zu erkennen, welche der an den Nebentischen sitzenden Gäste Leibwächter sind. Gewöhnlich sind es die mit dem unbeteiligten Gesichtsausdruck.
    Natürlich ist es verrückt, dass Journalisten unter Bewachung stehen müssen, wenn sie über die Mafia schreiben. Aber noch verrückter ist es, wenn sie nicht beschützt werden. Wie Gianni Lannes etwa, ein Reporter und Fotograf, der über die Giftmüllschiffe berichtet hat, die von der ’Ndrangheta in der Adria versenkt wurden – und dem daraufhin sein Auto in die Luft gesprengt wurde. Ich traf ihn auf einer Antimafiaveranstaltung in Palermo, wo ich neben ihm auf dem Podium saß und er seine Geschichte erzählte. Das Podium war so grell beleuchtet, dass der Zuschauerraum vor uns im Dunkel versunken war. Als Gianni Lannessprach, sah ich, wie die feinen Speicheltropfen seiner Wut durch den Lichtkegel des Scheinwerfers in das Dunkel flogen. Es sah aus, als spreche er in einen leeren, zeitlosen Raum. Am Ende sagte er, dass sein jüngster Sohn erst ein Jahr alt sei und fing an zu weinen.
    Ich dachte auch an Marco Travaglio, den wohl berühmtesten italienischen Enthüllungsjournalisten. Er schreibt Bestseller: über die Mafiaverbindungen Berlusconis, über die nicht erfüllten Wahlversprechen der Linken, über die Geschäfte des Außenministers und ehemaligen Kommunisten Massimo D’Alema, über Berlusconis Prostituiertenpolitik. In den fünfundzwanzig Jahren seiner Karriere handelte er sich 250 Anzeigen ein, sowohl strafrechtliche Klagen als auch Zivilklagen, darunter zwei von Berlusconi, die Travaglio beide gewonnen hat und eine von dem Senatspräsidenten Renato Schifani, über den Travaglio im Jahr 2008 berichtet hat, dass dieser im Jahr 1979 zusammen mit einigen Mafiabossen die Gesellschaft Siculabrokers gegründet hatte. Im Jahr 2008 wurde Schifani von Ministerpräsident Berlusconi zum Senatspräsidenten ernannt und bekleidet damit kein geringeres als das zweithöchste politische Amt in Italien, was zumindest heikel ist. Zumal einer dieser Mafiabosse, Nino Mandalà, sich viele Jahre später der Freundschaft zu Renato Schifani rühmte – und diese freundschaftliche Verbindung sich in den Akten verschiedener Mafiaprozesse niederschlug. Renato Schifani verklagte Marco Travaglio um zwei Millionen Euro. Am Ende des Prozesses erkannte ein Gericht in Turin Schifanis zwielichtige Freundschaften als berichtswerte Tatsache an und verurteilte Travaglio lediglich zu einer Zahlung von 16 000 Euro, weil er Schifani in einer Fernsehsendung als »Schimmel« bezeichnet hatte.
    Allein das Buch, das Berlusconis Mafiaverbindungenenthüllt, brachte Travaglio nicht nur acht Klagen ein, sondern auch Drohungen von Bossen der ’Ndrangheta, darunter von einem Geschäftsfreund von Marcello Dell’Utri. Travaglio wurde auch von den beiden Vertrauten Berlusconis verklagt, Marcello Dell’Utri und Cesare Previti: Dell’Utri ist in zwei Instanzen als Gehilfe der Mafia verurteilt worden, und Cesare Previti ist nicht nur ehemaliger Verteidigungsminister und ehe maliger Anwalt von Berlusconis Firmengruppe Fininvest, sondern wurde auch wegen Richterbestechung rechtswirksam verurteilt.
    »Sie wollen die wenigen, die noch darüber schreiben, zum Schweigen bringen. Wenn mehr Journalisten darüber schreiben würden, kämen sie nicht auf die Idee mit den Klagen«, sagte Marco Travaglio – in jener spöttisch-spröden Art, die den wahren Piemonteser auszeichnet. Travaglio trägt stets Jackett und oft auch Krawatte und echauffiert sich nie, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Er ist höchstens ironisch. Allerdings ist sein Spott so schneidend wie ein Laserstrahl. Travaglio ist ständiger Gast in Beppe Grillos Blog mit einer »Montagsansprache«, die per streaming übertragen wird, und hat 2009 auch noch eine Tageszeitung gegründet, Il Fatto Quotidiano, für sie hat er einige der besten italienischen Journalisten, die sich selbst »Das dreckige Dutzend« nennen, gewinnen können, und sie kündigten ihre Festanstellung mit Pensionsanspruch. Seither geben sie zusammen mit Travaglio die einzige Tageszeitung heraus, die weder einem Industriellen noch einer Partei gehört, sondern einer Kooperative, die überdies auf die in Italien üblichen öffentlichen Zuschüsse

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