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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Spampinato nüchtern fest. Stets sei jemand zur Stelle, der beweisen möchte, dass der Journalist einen Fehler gemacht habe, als er über die Mafia schrieb, stets sei jemand bereit, die möglichen Konsequenzen der Bedrohung kleinzureden und gegen den Vorteil aufzurechnen, der aus der steigenden Bekanntheit resultiere. Sie beschuldigten den von der Mafia bedrohten Journalisten, »unvorsichtig« gewesen zu sein und aus Eitelkeit jenen stillschweigenden Pakt verletzt zu haben, der darin besteht, bestimmte Nachrichten zu verschweigen. Spampinato sagte, vor allem in Süditalien machten sich immer noch unzählige Zeitungen zum Sprachrohr der Bosse, nur wenige hätten den Mut, sich von der schweigenden Mehrheit zu distanzieren. Die Haltung ist diejenige: »Er hat es nicht anders gewollt, niemand hat ihn dazu gezwungen, für wen hält er sich eigentlich?« Und ein bedrohter Kollege lebe umso gefährlicher, je namenloser er sei. Den Edelfedern, den erfolgreichen Schriftstellern, den Fernsehprominenten hingegen billige man zu, über sich und ihre Bedrohung zu sprechen. Wehe aber, wenn sie so schwach sein sollten, auch über den erstenAugenblick der öffentlichen Neugier hinaus noch Schutz und Aufmerksamkeit für ihre Bedrohung einzufordern. Dann werde ihnen vorgeworfen, sich als Opfer zu gerieren, mit ihrer Bedrohung zu spekulieren.
    »Jeder, der über die Mafia schreibt, tut das auf eigene Gefahr«, sagte Alberto Spampinato. In den letzten drei Jahren wurden mehr als zweihundert Journalisten in Italien von der Mafia bedroht – nicht nur mit Brandsätzen und unverhüllten Morddrohungen, sondern auch ganz legal: mit Verleumdungsklagen und astronomischen Schadensersatzforderungen. Spampinato erzählte mir von dem Fall des sizilianischen Politikwissenschaftlers Claudio Riolo – der auf eine absurde, fünfzehn Jahre währende Prozessgeschichte zurückblicken kann. Ich traf ihn in Palermo, wo er mir zwischen den Zimmerpalmen und verstaubten Marmorspringbrunnen des Grand Hotels seine Prozessgeschichte erzählte. Sie hat die Ursache in der juristischen Terrortaktik der Mafia, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Einen treffen, um Hunderte zu erziehen.
    Im Jahr 1994 hatte Claudio Riolo für eine Antimafiazeitschrift einen Artikel über die Seltsamkeit geschrieben, dass Francesco Musotto, Strafverteidiger und damaliger Präsident der Provinz Palermo, es fertiggebracht hatte, im Prozess gegen die Attentäter von Staatsanwalt Falcone gleichzeitig als Geschädigter und als Verteidiger aufzutreten: Einerseits vertrat Musotto die Provinz Palermo als Geschädigte, andererseits verteidigte er einen der angeklagten Mafiabosse. Riolos Artikel trug den Titel »Der eigentümliche Fall von Anwalt Musotto und Mister Hyde«.
    Fünf Monate nach dem Erscheinen strengte Musotto eine Verleumdungsklage an und forderte 350 000 Euro Entschädigung. Sechs Jahre dauerte der Prozess in der erstenInstanz – an dessen Ende der Politikwissenschaftler Claudio Riolo schuldig gesprochen und zu einer Zahlung von 70 000 Euro verurteilt wurde. Anders als bei Strafprozessen ist in Italien das Urteil eines Zivilprozesses sofort gültig. Das Gericht verfügte, ein Fünftel des Gehalts des Politikwissenschaftlers zu pfänden – eine Pfändung, die auch für seine in einigen Jahren einsetzende Pension gilt. In den beiden folgenden zwei Instanzen wurde das Urteil bestätigt: Am Ende des zwölf Jahre dauernden Prozesses wurde Riolo auch vom Kassationsgericht für schuldig befunden. Dann geschah das, was es in Italien noch nie gegeben hatte: Riolo legte am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung ein und gewann den Prozess Riolo gegen Italien. Der italienische Staat wurde für schuldig befunden, die Meinungsfreiheit nicht geschützt zu haben. Der Artikel über den Mafiaanwalt sei keine Verleumdung gewesen, sondern eine mit Fakten belegte, für demokratische Staaten zulässige Meinungsäußerung. Im Oktober vergangenen Jahres wurde Italien zur Zahlung einer Entschädigung von 72 000 Euro verurteilt. Da das europäische Urteil das italienische nicht außer Kraft setzt, sondern nur ergänzt, verhält es sich nun so, dass der italienische Staat die Kosten für die vermeintliche Verleumdung des Mafiaanwalts trägt. Ironie der Justiz.
    Nur eines haben selbst die hart geprüften italienischen Mafiajournalisten noch nicht gesehen, und das sind geschwärzte Abschnitte in einem Buch über die Mafia. Die italienischen Medien berichteten ausgiebig über die

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