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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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beherrschte den Gemüsemarkt von Mailand: eine Million Tonnen Obst und Gemüse pro Jahr, neuntausend Arbeiter, vierhundert Firmen. Zusammen mit den Clans der Casalesi kontrollieren die aus Kalabrien stammenden Clans der Bellocco und der Tripodi den Großmarkt von Fondi, wo sie nicht nur Zucchini, sondern auch Kokain lagern. Und Waffen: Maschinenpistolen, Raketenwerfer, Handgranaten, die bei einer groß angelegten Verhaftungsaktion im Frühjahr 2010 gefunden wurden. Das kommt mir bei Fondi und Goethes Palme in den Sinn.
    Neapel beginnt mit einem Gewirr aus ineinander verknoteten Hochstraßen. Fiat Puntos, Vierzigtonner und Vespas sind im Feierabendverkehr ineinander verkeilt. Der Wind lässt Plastiktüten wie Vögel herumfliegen, trockene, staubige Blätter von Gummibäumen wirbeln über die Straße, gelber Saharasand und leere Kartons. Und ich habe den Ehrgeiz, mein Hotel ohne Handarbeitslehrerin und ohne Stadtplan zu finden. Es liegt im spanischen Viertel, unweit der via dei Tribunale. Die Gassen sind so eng, dass sich zwei Passanten in einen Hauseingang drücken, um den Alfa vorbeizulassen. Ansonsten nimmt von meinemWunderwerk niemand Notiz. In Neapel sind die Leute Besseres gewöhnt, Violett schimmernde, allradbetriebene Hummer, Kampffahrzeuge für jeden Tag, Lamborghini und Ferrari Testarossa, in denen die Camorristi durch das Viertel rasen und ab und zu mitten auf der Straße stehen bleiben, einfach so, um zu beweisen, dass sich hier kein Blatt bewegt, wenn es der Boss so will.
    Am unteren Ende der via dei Tribunali, zwischen mit Totenköpfen geschmückten Barockkirchen, marmornen Füllhörnern der Renaissance und Hausaltären für Maradona liegt Ginos Fotostudio, eines der unzähligen neapolitanischen Hochzeitsfotografen, mit dem ich mich auf einer Reportage angefreundet habe. Das Erste, was mir an Gino auffiel, war, dass er die Augenbrauen gezupft trug. Wie es sich für neapolitanische Männer gehört. Am äußeren Brauen bogen wuchsen die Haare allerdings bereits wieder nach, weil seine Frau keine Zeit zum Zupfen gehabt hatte.
    Gino inszeniert Neapels heilige Rituale – Hochzeiten, Kommunionfeiern und Taufen. Er besorgt vierspännige Kutschen und frische Rosenblüten, die aus einem Hubschrauber über dem Haus einer Braut regnen. Gino liebt es, von den Exzessen zu schwärmen, denen sich seine Kunden hingaben, Feuerwerke für zehntausend Euro, Hubschrauberflüge nach Capri, um sich während der Hochzeitsfeier zwischen Vorspeise und Spaghetti vor den Faraglioni-Felsen fotografieren zu lassen – vierzehntausend Euro kostet sein Einsatz dann, Hubschrauberflug inbegriffen. Dreharbeiten mit Kommunionkindern, wobei Gino das Kommunionkind wie eine laszive Nymphe auf dem Rücken eines Pferdes am Strand von Ischia filmte, für ein Video, das den geladenen Gästen am Ende der Feier zur Erinnerung überreicht wurde.
    Aber als ich an Ginos Laden vorbeifahre, brennt kein Licht, und der Fotokasten ist leer. Als wir uns kennenlernten, war dort das Bild einer Braut ausgestellt, die ganz in Schwarz vor den Altar getreten war, eine üppige Neapolitanerin mit schwarzer Spitzenhaube, die einen ebenso üppigen Mann mit messerrückenschmalem Bart umarmte. Ja, sagte Gino, das sei eine besonders schöne Hochzeit gewesen, mit einer Serenade und zwei Feuerwerken, die Braut habe darauf bestanden, in Schwarz vor den Altar zu treten, weil sie mit dem Bräutigam bereits zwei Kinder hatte.
    Nur wagemutige Touristen durchqueren das Spanische Viertel – mit in den Unterhosen versteckten Kreditkarten. Für das neapolitanische Bürgertum, das in mit Nummerncodes gesicherten Straßenzügen auf dem Vomerohügel wohnt oder unter den jahrhundertealten Zypressen von Posillipo, ist die Altstadt ein dunkler Kontinent, den es nie betreten wird. Und dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, wurde Gino nicht müde, seine Straße zu preisen: »Hier wird keine Tasche, kein Auto, keine Vespa geklaut, hier wird alles kontrolliert! Kein Vergleich zu Camorra-Hochburgen wie Forcella! Oder Sanità!« Und es klang, als befänden sich Forcella und Sanità in einer anderen Zeitrechnung. Und nicht eine Straße weiter. Die Mafia, das sind immer die anderen. In Deutschland tröstet man sich damit, dass die Mafia in Italien sitzt, in Neapel in der via dei Tribunali redet man sich ein, dass sie eine Straße weiter herrscht.
    Ich habe sie schon tausendfach gehört, die Lüge von der edlen Mafia, die in Abwesenheit des Staates für Recht und Ordnung sorgt. Es ist eine

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