Von Kamen nach Corleone
Kroaten, Italiener. An Pfingsten. Dem Fest des Heiligen Geistes.
Als ich die Kirche verlasse, löse ich aus der Ferne die Zentralverriegelung. Und als der Wagen komplizenhaft aufblinkt, freue ich mich wie ein Kind. Ich werde nochmisstrauischer von den Schwanenmüttern beäugt. Ganz so, als käme ich von einem Bußgang. Ich überlege, ob ich die Frauen ansprechen soll. Sie fragen soll, ob sie eine Erinnerung an jene Mordnacht im August haben. Aber vielleicht werden sie sich nicht mehr entsinnen. Oder höchstens daran, dass sie schliefen und am nächsten Morgen in der Bild von den Morden erfuhren. Mehr nicht. Es wird sie nicht berührt haben. Warum auch. In Duisburg passieren ständig irgendwelche Morde, Vietnamesen meucheln Vietnamesen, Litauer legen Litauer um, da kann man sich nicht auch noch um ein paar Italiener Sorgen machen. Selbst wenn sie Mafiosi waren.
Und was heißt schon Mafiosi? Ist es nicht eine alte italienische Kultur? Ein unausrottbarer Wesenszug der Süditaliener? Überschäumendes Temperament? Eine Art Geheimbund? Der zu einem Berufsbild wurde?
Nur wenige Straßen vom Dellplatz entfernt, in der Duisburger Tonhallenstraße, sprach ich einige Monate zuvor an einem kalten Wintertag mit einem Blumenhändler, der nur Gutes über den ermordeten Wirt des Da Bruno zu berichten wusste. Sebastiano Strangio habe über der Blumenhandlung gewohnt und sei ein ausgesprochen angenehmer Nachbar gewesen. Ein Wirt, der sich gewissenhaft um sein Lokal gekümmert und stets freundlich gegrüßt habe, wenn er morgens um elf Uhr die Wohnung verließ. Ein liebenswürdiger Mafioso sozusagen. Denn dass Sebastiano Strangio zur Mafia gehörte, das hatte der Blumenhändler schon vermutet, als sich das Da Bruno noch in der Tonhallenstraße befand, gegenüber vom Blumenladen, wo später eine juristische Fachbuchhandlung eingezogen ist. In der Adventszeit, als er bis spät in die Nacht Kränze winden musste, hatte er beobachten können, wie das Da Bruno gelegentlich von Polizisten umstellt wurde.
Einmal seien sechzig Polizisten angerückt und hätten alle Gäste aufgefordert, das Restaurant zu verlassen, um eine Hausdurchsuchung machen zu können. Diese Unannehmlichkeiten hätten die Gäste des Da Bruno allerdings keineswegs davon abgeschreckt, wiederzukehren, oft habe es sogar eine Schlange von Wartenden auf einen freien Tisch im Da Bruno gegeben. Nachdem das Restaurant in das Klöcknerhaus hinter dem Bahnhof umgezogen war, habe Sebastiano Strangio, der freundliche Mafioso, den Blumenhändler wiederholt in sein neues Lokal ein geladen. Einmal habe er auch das Angebot angenommen, weil er nicht unhöflich sein wollte. Aber es sei ihm irgendwie unangenehm gewesen, sagte der Blumenhändler. Vor allem, weil er nicht bezahlen durfte.
An diesen Duisburger Blumenhändler dachte ich, als mich das italienische Fernsehen einige Monate später zu einer Sendung über die kalabrische ’Ndrangheta eingeladen hatte – deren Namen auszusprechen sich selbst Italiener schwertun. Der Aufstieg der ’Ndrangheta Italiens ist über Jahrzehnte selbst in Italien unbemerkt geblieben. In den Jahren nach den Morden an den beiden Staatsanwälten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren die Scheinwerfer des öffentlichen Interesses fast ausschließlich auf Sizilien gerichtet, sodass die ’Ndrangheta im Schatten der Cosa Nostra Karriere machte. Aus den bäuerlichen Clans, die einander Schafe raubten, war die reichste Mafiaorganisation Italiens geworden, mit einem geschätzten jährlichen Geschäftsumsatz von 45 Milliarden Euro, drei Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts.
Ich saß in einem tiefen Ledersessel, geschminkt, gepudert und ausgeleuchtet wie die anderen Studiogäste auch, und der Moderator kündigte einige kurze Filme an, über das Dorf San Luca, über den Kokainhandel der kalabrischenClans, über ihren unvorstellbaren Reichtum und über ihre Geschäfte in Mailand, wo die Clans bereits an den Bauaufträgen für die Expo beteiligt sind.
Gleich zu Beginn, nach einem Beitrag über das Massaker von Duisburg, stellte mir der Moderator eine Frage. Besser gesagt, es war keine Frage, sondern eine freundlich gemeinte rhetorische Vorlage; ich sollte all jene unerbittlichen Antimafiaoffensiven aufzählen, die der deutsche Rechtsstaat aufgeboten hätte. Gesetzesinitiativen, Verordnungen, Beschlüsse. Der Moderator war überzeugt, dass die Deutschen seit jener Augustnacht des Jahres 2007 aufgewacht seien – und wahrgenommen hätten, dass die
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