Von Kamen nach Corleone
misstrauisch an, als ich über den Platz zur Kirche gehe. Ich mag es, in fremden Städten Kirchen zu besuchen. Es ist, als würde man im Wohnzimmer einer Familie sitzen, die gerade das Haus verlassen hat. Man sieht, wie sie eingerichtet ist, welche Farben sie liebt, welche Glasmosaiken, welche Holzschnitzereien, ob ihre Altäre aus Fichtenholz und Pappmaché gemacht sind oder aus Gold und Marmor. Und man nimmt jenen Geruch von Staub, Lilien und Weihrauch wahr, der alle katholischen Kirche auf der Welt erfüllt.
Wie in jeder Kirche herrscht auch in der Sankt-Joseph-Kirche Stille, sie verbreitet Andacht auf einen Umkreis von einigen Metern, und mir ist, als würde sie auch das Geräusch meiner Schritte absorbieren. Drinnen herrscht eine fast protestantisch anmutende Kargheit. Keine in Gold getauchten Engel, keine grell geschminkten Wundmale der Heiligen, keine marmornen Totenköpfe. Nur Gottes Wort und eine schlichte Kanzel.
Vor einigen Monaten kam ich mit dem Pfarrer der Sankt-Joseph-Kirche ins Gespräch, Pfarrer Bernhard Lücking, ein kleiner, bärtiger Mann, der mir davon erzählte, dass er sich bereits für die Mafia interessierte, als er noch nichtsdavon ahnte, dass sie ihre Geschäfte nur einen Steinwurf von seiner Kirche am Dellplatz entfernt betreibt. Im Sommer vor dem Blutbad von Duisburg war er mit einigen Salesianer-Brüdern nach Palermo gereist, um die Gedächtniskirche von Padre Puglisi zu besuchen, jenem Priester, der wegen seines Kampfes gegen die Mafia am helllichten Tag von zwei Killern der Mafia ermordet worden war, ohne dass sich für den Mord Zeugen fanden. Kurz nach seiner Rückkehr von der Reise nach Palermo hörte Pfarrer Lücking nachts in Duisburg die Polizeisirenen gellen. In jenen Tagen, sagte er, habe er oft an den ermordeten Padre Puglisi gedacht, der die Mafiabosse von den Prozessionen ausgeschlossen und nur denjenigen Familien die Katechese erlaubt hatte, die der Mafia abgeschworen hatten. Und der von seinen Mitbrüdern keineswegs unterstützt wurde, sondern isoliert worden war.
Seine Reise nach Palermo war seit langem geplant gewesen. Eine Reise, von der Pfarrer Lückings italienische Gemeinde nichts wusste. Sie lebt in Duisburg, als hätte man sie gegen ihren Willen in eine fremde Welt gesperrt. Die Sankt-Joseph-Kirche betreten die italienischen Gemeindemitglieder wie ein fremdes Mietshaus, in dem sie sonntags ihre Messe feiern – aber nur, wenn sie von einem der italienischen Pfarrer zelebriert wird.
»Wir deutschen Katholiken werden verdächtigt, heimliche Protestanten zu sein«, sagte der Pfarrer und kicherte.
Zwei italienische Geistliche kümmern sich um die italienische Gemeinde von Duisburg, Don Adriano und Don Lino – mit dem Pfarrer Lücking nur auf Latein kommunizieren kann, weil Don Lino kein Deutsch spricht. Genauso wenig wie die Frauen der italienischen Gemeinde, die oft auch nach zwanzig Jahren in Deutschland kein einziges Wort Deutsch sprechen, weshalb es die Väter sind, die ihreKinder bei Pfarrer Lücking zur Kommunion anmelden. Es ist die einzige Gelegenheit für den Pfarrer, die italienischen Gemeindemitglieder zu Gesicht zu bekommen. Zwei Worte mit ihnen zu wechseln. Mehr nicht. Denn nach der Kommunion ihrer Kinder sind die italienischen Väter sofort wieder verschwunden.
»Wir haben auch andere fremdsprachige Gemeinden, Kroaten, Tamilen, aber keine isoliert sich so wie die italienische«, sagte Pfarrer Lücking. Was er merkwürdig findet. Ebenso merkwürdig, wie die Umstände jener Versöhnungsmesse kurz nach der Mordnacht auf ihn gewirkt haben, als der Pfarrer von San Luca, Don Pino Strangio, zusammen mit dem Bischof von Locri angereist war. Kurioserweise wurde wenig später ausgerechnet dieser Bischof versetzt – obwohl er doch immer als großer Antimafiakämpfer gegolten hatte. Pfarrer Lücking wunderte sich, wie vertraut Don Pino mit den Familien der Mordopfer umgegangen ist. Und auch die Furcht in den Augen des kleinen italienischen Messdieners war ihm aufgefallen – der in den Tagen nach dem Duisburger Blutbad vor Angst geschlottert hatte, weil er mit der Familie Strangio verwandt war: dem Clan der Killer.
»Damals, nachdem wir in Palermo die Gedächtniskirche von Padre Puglisi verlassen hatten, waren wir geschockt«, sagte Pfarrer Lücking. »Noch lange danach fragten wir uns: Wie hättest du gehandelt?«
Auf jeden Fall setzte er durch, dass ein Mal im Jahr die ganze Gemeinde gemeinsam die Messe in der Sankt-Joseph-Kirche feiert. Deutsche, Tamilen,
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