Von Kamen nach Corleone
Nirta-Strangio sich in Nordrhein-Westfalen befänden, wurde der Einfachheit halber gar nicht beantwortet. Vielmehr wurde belehrt: »Das Betreiben eines Gastronomiebetriebes allein begründet keinen Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat. Auch nicht, wenn Betreiber oder Mitarbeiter polizeilich bekannten kalabrischenFamilien angehören oder zu ihnen in Beziehung stehen.«
Und wer jetzt immer noch Angst vor der Mafia in Nordrhein-Westfalen hatte, der wurde damit beruhigt: »Die unmittelbare Drohung und die Ausübung von Gewalt richten sich nach polizeilichen Bewertungen vorwiegend gegen italienische Landsleute.« Das Blutbad von Duisburg? Lediglich Italiener, die Italiener ermordet hatten.
Schon bevor die Landesregierung die Große Anfrage beantwortet hatte, war ein Kopf gerollt: Der Polizeipräsident von Bochum wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil ihm vorgeworfen wurde, zur Vorbereitung der Großen Anfrage Informationen über die italienische Mafia an die Opposition weitergegeben zu haben. Im sizilianischen Trapani hätte ich so etwas erwartet. Oder im kalabrischen Vibo Valentia. Aber nicht in Düsseldorf.
Das ging mir durch den Kopf, als ich in diesem Fernsehstudio etwas unbehaglich in meinem Ledersessel herumrutschte. Ich suchte nach dem Positiven. Nach einer Gesetzesänderung, die ich hätte verkünden können. Aber mir fiel nur ein, dass ein großer Teil der Polizisten, die sich in Deutschland eigentlich mit der Mafia beschäftigen sollten, aus den Dezernaten für organisierte Kriminalität abgezogen worden waren, um islamische Terroristen zu bekämpfen: Bärtige belauern, wie es ein Staatsanwalt nannte. Die Mafia in Deutschland war nichts anderes als eine Giftwolke, die sich schon längst wieder verzogen hatte. Es bestand zu keinem Zeitpunkt keinerlei Gefahr . Ständig hatte ich die Stimme des einstigen CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann im Ohr, der kurz nach dem Ausbruch des Atomreaktors von Tschernobyl die Deutschen mit diesen Worten zu beruhigen versuchte. Jargon der Uneigentlichkeit.
Einschätzungen wie die von Wolfgang Neiss, dem Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität von Duisburg, waren auch wenig erwünscht. Er hatte festgestellt, dass es in fast allen Verfahren gegen organisierte Kriminalität Hinweise auf undichte Stellen gegeben hatte – entweder in den eigenen Reihen oder bei der Justiz oder bei der Kommunalverwaltung. So seien Durchsuchungsvorhaben verraten worden: Man habe durchsucht, und alle Räume seien leergefegt gewesen, was vollkommen untypisch gewesen sei. Auch seien Aufenthaltserlaubnisse für Leute vergeben worden, die keine hätten bekommen dürfen. Standesbeamte hätten Scheinehen geschlossen, obwohl sie genau gewusst hätten, dass es sich um solche handelte, Bedienstete von Straßenverkehrsbehörden hätten Informationen über geheime Polizeikennzeichen weitergegeben, um zu warnen. Solche Versuche gebe es immer wieder, und sie seien auch schon verurteilt worden.
Und kurz nachdem Wolfgang Neiss dem ZDF seine nüchterne und realistische Einschätzung in die Kamera gesprochen hatte, wurde der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Duisburg versetzt.
Die Düsseldorfer Landesregierung war nicht die einzige, die versuchte, die Mafia sich wieder zurück in den Süden zu imaginieren. Als im thüringischen Landtag im November 2008 eine Kleine Anfrage gestellt wurde, klangen die Antworten in Erfurt genauso verharmlosend wie die in Düsseldorf. In den letzten drei Jahren seien verschwindende 0, 1 Prozent aller Tatverdächtigen Italiener gewesen. Und was die Geldwäsche betreffe: Es lägen keine Hinweise auf die Herkunft der in Thüringen investierten Geldbeträge vor.
Fast zeitgleich und ebenso abwiegelnd antwortete der baden-württembergische Innenminister auf die Anfrageeiniger SPD-Abgeordneter und verwies auf die Statistik, die für die letzten acht Jahre ganze vier Ermittlungen gegen die ’Ndrangheta aufführte. Ansonsten gebe es keinen Anlass, anzunehmen, dass in Baden-Württemberg »Referenten« der ’Ndrangheta tätig seien. Auch die Frage, ob die Aussagen italienischer Kollegen zuträfen, denen zufolge ein gewisser »M. L.« in Baden-Württemberg tätig sei, wurde abschlägig beschieden. Man wagte nur, die Initialen des Gastronomen Mario Lavorato zu nennen, obwohl die Freundschaft des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger zu dem Kalabrier Mario Lavorato schon in so vielen Büchern und Zeitungsberichten
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