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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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beschrieben worden war, dass sie fast schon zu einem Romanstoff geronnen war: Mario Lavoratos Pizzeria in Stuttgart-Weilimdorf war die Stammgaststätte der CDU-Prominenz. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte gegen Mario Lavorato erfolglos wegen Geldwäsche und Drogenhandels ermittelt. Inzwischen hat ein kalabrisches Gericht Lavorato vom Vorwurf der Mafiazugehörigkeit freigesprochen. Er feiere in Stuttgart wieder rauschende Feste, notierte das BKA.
    Ich saß immer noch in meinem Lichtkegel. Der Moderator lächelte mich aufmunternd an. Er erwartete von Deutschland etwas, was den Italienern Hoffnung machen würde. Und ich dachte daran, dass man in Deutschland die Musik der Mafia liebt, die man gerne auf Partys auflegt und dabei den Schauder über die archaischen Riten eines bizarren, der Blutrache verfallenen Völkchens genießt, die Mafia als eine jahrhundertealte Lebensform, eine Art spezielles Weltkulturerbe, das zum Süden Italiens gehört wie Zitronenblüten und Mandolinenklänge.
    »Man hat nach Duisburg tatsächlich keine neuen Gesetze gegen die Mafia beschlossen? Gegen Geldwäsche? OderMafiazugehörigkeit?«, fragte der Moderator schließlich und blickte etwas ratlos in die Kamera.
    »Nein«, sagte ich.
    Und der Moderator begann hektisch seine Moderationskarten neu zu sortieren.
     
    Endlich lasse ich mich wieder in den Spider fallen, in den Muschelschalensitz. Und beschließe, etwas Gas zu geben, sonst wird das ja nie etwas, mit Sizilien. Gerade lag noch der Geruch von Staub und Rauch in der Luft, jetzt rieche ich nichts anderes mehr als Leder und Kunststoff, jenen typischen Geruch, den ein neues Auto verströmt.
    Am Dellplatz ist Duisburg noch Duisburg, in jeder Mauerritze sitzt die Sachlichkeit des Ruhrgebiets. Nur ein paar Kreuzungen weiter versucht die Stadt abzuheben, ich fahre an gläsernen Flächen vorbei, an einem riesigen verspiegelten Kubus, einer schillernden Ellipse, und glaube meinen Augen nicht zu trauen, als ich an der Fassade den Schriftzug lese: »Casino Duisburg«. Alles hätte ich in Duisburg vermutet, Hochöfen, in denen man klettern, Kühltürme, in denen man tauchen kann, aber kein Spielcasino. Ein Spielcasino braucht Edelgeschöpfe, Luxusschicksale, Romanfiguren, aber keine Arbeitslosenquote von dreizehn Prozent. Mühsam verdränge ich jeden aufkommenden Gedanken an Geldwäsche. Déformation professionnelle .
    Als ich an einer Kreuzung abbiege, sehe ich eine Möwe auf der Regenrinne eines Hauses sitzen, die sich nun aufschwingt und über mich hinwegfliegt, als liege unter ihr der Ozean und nicht das Ruhrgebiet. Wie kommt eine Möwe so tief ins Festland, frage ich mich – als mir mein Heimatkundebuch wieder einfällt, in dem es nicht nur Schaubilder von Hochöfen gab, sondern auch Fotos vomDuisburger Hafen. Die stets mit dem Superlativ verbunden waren: Der größte Binnenhafen der Welt. Schon überquere ich eine Brücke über den Rhein, der hier wie ein Meer wirkt. In der Ferne sehe ich Hochöfen, keine musealen, die man besteigen und besichtigen kann, sondern echte. Im Gegenlicht wirken sie wie eine Szenendekoration für einen Film von Sergej Eisenstein.
    Noch bevor ich die Autobahn erreiche, stehe ich schon wieder im Stau. Neben mir fährt ein Geländewagen mit voll verspiegelten Fenstern vor, ein Geländewagen, der aussieht, als sei er unterwegs, um Minen aufzuspüren, obwohl er wohl nur zum nächsten Getränkehandel fährt, Bier und Mineralwasser einkaufen. Als das Seitenfenster des Geländewagens neben mir langsam herunterfährt, stolpert mein Herz. Und schlägt erst dann wieder regelmäßig, als die Hand, die aus dem Fenster gestreckt wird, eine Zigarette zwischen den Fingern hält. Und die Asche abstreift.
    In solchen Momenten ist Erfurt wieder ganz nah. Der Morgen danach, als ich auf dem Bahnhof stand, zitternd, in einer dünnen Lederjacke, gerade recht für Palermo oder Neapel, nicht aber für deutschen Frühwinter. Wenn ich sprach, verwandelte sich mein Atem in eine kleine, weiße Wolke. Ich hatte eine Freundin angerufen, ihre Stimme klang verwundert, normalerweise rufe ich nie so früh an. Wahrscheinlich vermutete sie, dass ich gerade meinen Mann verlassen hatte. Oder dass mein Mann mich verlassen hatte. Warum sollte man sonst seine Freundin um sieben Uhr morgens aus dem Bett klingeln.
    »Schieß los«, sagte meine Freundin.
    »Ich wollte dir von meiner Lesung gestern Abend in Erfurt erzählen«, sagte ich.
    »Ah, die Mafia«, sagte meine Freundin.
    Wir kennen uns noch aus

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