Von Kamen nach Corleone
Rezepte reduzieren. Aber das würde er nicht laut sagen. Er sagt nur, dass es nicht einfach sei. Die Deutschen seien verschlossen, es sei schwer, von ihnen aufgenommen zu werden. »Und dann das Klima! Die Diaspora! Die Mentalität!« Wenn eine Mutter auf Knien durch eine deutsche katholische Kirche rutsche, weil sie so für ihre kranke Tochter bete, dann wird sie von dem deutschen Pfarrer hinausgeworfen! Don Cataldo hält es vor Empörung kaum auf seinem Drehstuhl. Resigniert blickt er nach oben, an die Zimmerdecke, auf ein himmlisches Zeichen hoffend. Aber die Italiener wären auch verantwortlich dafür. Die erste Generation habe in Gevelsberg gelebt wie in einer Bahnhofshalle. Alle warteten auf den Zug zurück in die Heimat. Bauten sich Häuser in Butera, richteten sie mit schönen Möbeln ein und ließen die Kinder bei den Großeltern in Sizilien aufwachsen. Und wenn die Kinder großgenug waren, um auch in Deutschland zu arbeiten, dann verboten die Eltern ihnen Lehrberufe, weil man da weniger verdiente. Und selbst der Schulbesuch galt als verlorene Zeit. »Heute stehen die von den Eltern unter großen Opfern gebauten Häuser in der Heimat leer, die schönen Möbel werden von den Mäusen aufgefressen, und die Kinder wollen nicht mal mehr die Ferien in Butera verbringen«, sagt Don Cataldo.
Auch wenn von den Kindern einige bereits Deutsche geheiratet haben, sehen alle immer noch das italienische Fernsehprogramm, per Satellit. Ihre wahre Heimat ist das Frühstücksfernsehen, die Quizshow am Sonntagnachmittag und die tränenreiche Familientalkshow mit den Fernsehballetteinlagen. Man hat viel Zeit, denn die meisten Italiener in Gevelsberg sind inzwischen arbeitslos. In Butera gibt es keine Arbeit und in Gevelsberg auch nicht – vor allem nicht für ungelernte Arbeiter.
»Sie haben eindeutig zu viel Zeit!«, ruft Don Cataldo und springt von seinem Stuhl hoch. Dies umso mehr, als die italienischen Eltern ihre Kinder bis um vier Uhr nachmittags in der Gesamtschule parken! Und der Staat ernährt alle. »Die Sozialhilfe würde ich sofort abschaffen«, ruft Don Cataldo, »den Arbeitslosen geht es doch viel besser als denen, die den ganzen Tag arbeiten! Sie spielen Karten, den ganzen Tag!«
Einmal versuchte Don Cataldo den Bürgermeister von Gevelsberg dazu anzuregen, die Arbeitslosen die Straßen reinigen zu lassen. Denn die seien inzwischen schmutziger als in Italien. Der Bürgermeister habe seinen Vorschlag abgelehnt, weil es gegen die Menschenwürde verstoße, wenn die Arbeitslosen in der Straßenreinigung eingesetzt würden.
»Die Menschenwürde, ha! Entspricht es denn der Menschenwürde,schon morgens Karten zu spielen?«, ruft Don Cataldo und blickt wieder nach oben an die Zimmerdecke, wo sich immer noch nichts tut.
Und auch Deutschland habe sich verändert, es sei nicht mehr das Land der perfekten Ordnung und des Respekts, für das es in Italien oft noch gehalten werde. Heute seien die Fenster in Gevelsberg vergittert, das habe sich früher niemand vorstellen können. Die Deutschen seien schockiert gewesen, als die Welt nach der EU-Osterweiterung nicht mehr die war, die sie kannten. Und dann entdeckten sie auch noch die Mafia vor ihrer Haustür!
»Die Mafia, das ist das Feuer unter der Asche«, sagt Don Cataldo. Die Mafia bediene sich der Leute hier. Ihr Sohn sei versorgt, sagten die Mütter, wenn ihr Sohn zur Mafia gehöre.
Don Cataldo weiß, dass ein Windhauch genügt, um die Glut zu entfachen. Als der Bischof von Locri nach dem Blutbad von Duisburg zur sogenannten Versöhnungsmesse nach Duisburg anreiste, gab Don Cataldo ihm zu verstehen, dass es keine gute Idee sei, wenn der Bischof die Familien der Opfer zu Hause besuchen würde, so wie es Don Pino geraten hatte, der Pfarrer von San Luca. Denn damit hätte der Bischof Position bezogen: für den Clan der Pelle-Romeo, gegen den gegnerischen Clan der Nirta-Strangio, der mutmaßlichen Killer. Und sich selbst gefährdet.
»Pesce è pesce e carne è carne« , sagt Don Cataldo. Das ist die süditalienische Version des Kempowski’schen »Ein Pfund Rindfleisch ist ein Pfund Rindfleisch, und alles andere ist Einbildung«. Es hat keinen Zweck, sich etwas vorzumachen.
Don Cataldo nimmt das Buch über die Mafiamusik in die Hand. Er liest den Titel: Die Globalisierung der bösen Ideen und nickt anerkennend. Er feuchtet die Fingerspitzean und beginnt zu blättern. Francesca beschreibt, wie ihr Deutschlandbild die ersten Sprünge bekam, als sie schon lange wieder in
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