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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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umgehend und kommentarlos veröffentlichte – unter dem Titel »Brief aus dem Gefängnis«, was nicht nur Mitleid erregend klingt, sondern den Absender auch in gewisser Weise adelt, denkt man in Italien bei dem Titel doch zuerst an das in faschistischer Haft entstandene Werk »Briefe aus dem Gefängnis« des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci.
    Auch der inhaftierte Vincenzo Santapaola betrachtet sich als Opfer und schrieb: Ich befinde mich in Hochsicherheitshaft und werde in Erwartung von Prozessen seit elf Jahren von Gefängnis zu Gefängnis geschickt – weil ich einen Nachnamen trage, der schwer auf mir lastet, ein verhasster und verleumdeter Nachname. Die Massenmedien bezeichnen mich als Mafioso, als Nachfolger meines Vaters.«
    Auch die Ehefrau des Bosses Totò Riina, Ninetta Bagarella, bezichtigte die italienische Öffentlichkeit, ihre Kinder in Sippenhaft zu nehmen: »Sie werden beschuldigt, als Kinder von Vater Riina und Mutter Bagarella geboren wordenzu sein, eine Erbsünde, die durch nichts getilgt werden kann. Warum kann man meine Kinder nicht wie Jugendliche betrachten, die so normal sind wie andere auch?« Sie adressierte ihr Schreiben an die Tageszeitung Repubblica . Kurz danach wurde ihr ältester Sohn wegen Mafiazugehörigkeit und vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, sein jüngerer Bruder wurde der Mafiazugehörigkeit und Erpressung für schuldig befunden.
    Es ist verblüffend, zu sehen, wie geschickt die Mafiosi sich als Opfer stilisieren. Die Mafia nutzt die Schwächen der jeweiligen Gesellschaft aus und pervertiert ihre Werte. Im katholischen Italien ist das die Familie, die heilig ist. Jeder Italiener hat Verständnis dafür, dass die Familie geschützt werden muss. Auch wenn der Vater ein international gesuchter Mafioso ist, werden seine Qualitäten als Vater nicht angezweifelt. Nicht mal von den Ermittlungsbehörden.
    Umso revolutionärer war die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria, die im November 2008 zum ersten Mal einem untergetauchten Mafioso das Vormundschaftsrecht über seine Kinder entzog. Die Staatsanwälte aus Reggio Calabria brachen dieses ungeschriebene Gesetz mit dem Hinweis, dass die Erziehungsziele eines Mafiosos ganz gewiss nicht die seien, die sich günstig auf die Entwicklung der Kinder auswirkten. Es handele sich bei dieser Entscheidung allerdings erst um einen Teilsieg: »Wir haben noch weitere Probleme zu lösen, etwa das der Ehefrauen der Mafiosi, die ja zuallererst die Mafiakultur auf ihre Kinder übertragen. Aber wir geben nicht auf, verkündeten die Staatsanwälte.«
    Was die Sippenhaft in Deutschland betrifft, so kennt niemand die Schwächen der Deutschen besser als die Mafiosi, die in Deutschland leben. Sie wissen, wie sehr manhier fürchtet, des Rassismus bezichtigt zu werden. Deshalb machen die Mafiosi den Deutschen genau das zum Vorwurf. Der Hinweis, dass sich die Mafia in Deutschland keineswegs auf die sechs toten Kalabresen aus der Pizzeria Da Bruno beschränkt, wird mit dem Vorwurf gekontert: Wollen Sie jetzt etwa alle Italiener in Sippenhaft nehmen?
     
    Ich beschließe, den Umweg nach Gevelsberg zu machen, zu Don Cataldo. Einige Kilometer nach Osten, über sanfte Hügel, wo Gevelsberg in der Flussmulde der Ennepe liegt. Don Cataldo leitet seit über dreißig Jahren die italienische Mission von Gevelsberg. Auf dem Beifahrersitz liegt das Buch meiner Freundin Francesca Viscone, das den schönen Titel Die Globalisierung der bösen Ideen trägt. Und das ich Don Cataldo als Geschenk von ihr mitbringen soll. Das Buch handelt von dem Siegeszug der Mafiamusik in Deutschland.
    Francesca kennt Don Cataldo noch aus Studienzeiten, als sie nachmittags in der italienischen Mission von Gevelsberg die Hausaufgabenhilfe leitete – für Kinder, die aus einer fernen Vergangenheit Italiens aufgetaucht schienen, Kinder, die weder Italienisch noch Deutsch, sondern nur sizilianischen Dialekt sprachen und die nach den Stationen des Kreuzwegs benannt waren. Die Mädchen trugen Vornamen wie Immacolata, die Unbefleckte, oder Addolorata, die Schmerzensreiche oder Preziosa, die Kostbare. Ein Mädchen war sogar mit dem Vornamen Crocefissa geschlagen, Kruzifixin. Es wurde von seinen Freundinnen liebevoll Fifina gerufen. Die Jungen hießen entweder Giuseppe oder Giovanni.
    Weil ich offenbar die strenge Stimme der Handarbeitslehrerin im Navi überhört habe, verfahre ich mich auf dem Weg zu Don Cataldo. Dass ich mich in einer Einbahnstraßein der falschen

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