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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Guten umgebracht und die Bösen ungestraft davonkommen? Wie es ist, wenn man mit dem eigenen Leben versucht, dem Tod einen Sinn zu geben? Wie es war, als die Mutter ihrem Sohn das Versprechen abnahm, dass er, wenn sie schon nicht verhindern könne, dass er Polizist wird, zumindest nicht in Sizilien arbeiten würde? Was er empfindet, wenn er im Sommerurlaub nach Sizilien zurückkehrt, wo seine Mutter und seine Schwestern bis heute leben, ein Sizilien, in dem die Mafia triumphiert, in dem Marcello Dell’Utri, die rechte Hand von Silvio Berlusconi, als Gehilfe der Mafia verurteilt wurde und ein Staatssekretär es bedauert, dass der Flughafen Palermo die Namen der ermordeten Richter Falcone und Borsellino trägt, weil das so unangenehm an die Mafia erinnere? Und wie es Alessandro Giuliano schafft, trotz alledem an seine Arbeit zu glauben, an die Möglichkeit der Gerechtigkeit?
    Vielleicht rettete es ihn, die Welt mit den Augen eines Polizisten zu sehen, wo man nicht an Wünsche, Sehnsüchte und Schimären glaubt, sondern an Beweise. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall war ich am Ende des Gesprächs mit ihm glücklich darüber, in der Ferne das Grün des Canal Grande zu sehen. Weit weg von Palermo.
    Als ich das erste Mal als Journalistin nach Palermo kam, 1989, in jenem legendären Frühling von Palermo, als viele glaubten, dass die Mafia nun doch besiegt werden könnte, da lagen die letzten Morde an den Polizistenkollegen der Squadra mobile von Boris Giuliano erst vier Jahre zurück. Letizia Battaglia, die legendäre Mafiafotografin und damalige Stadträtin der Grünen, hatte mir davon erzählt, im Auto, als wir auf das Kommissariat von San Lorenzo fuhren,zu dem Fahnder Saverio Montalbano – der auf den ermordeten Polizisten Ninni Cassarà in sein Amt als Mafiajäger gefolgt war. Und dem später nahelegt worden war, Sizilien zu verlassen, weil man nicht mehr für seine Sicherheit garantieren könne. Als ich ihn kennenlernte, fuhr Montalbano in einem gepanzerten Wagen, begleitet von zwei Leibwächtern. Ein Polizist, der von Polizisten beschützt werden musste.
    Jedes Mal, wenn ich von einer Mafiareportage in Sizilien wieder nach Venedig zurückkehrte, war ich erleichtert. Jahrelang glaubte ich mich in Venedig von der Mafia verschont, so wie viele Norditaliener, die mit ähnlichem Befremden nach Süditalien blicken, wie die Deutschen auch. Ich glaubte mich verschont, weil in Venedig kein Schutzgeld erpresst wurde und keine Mafiamorde begangen wurden. So wie in Deutschland auch. Ich glaubte daran, obwohl ich es hätte besser wissen müssen. Schließlich hatte mir Leoluca Orlando, der damalige Bürgermeister von Palermo, 1989 bei meinem ersten auf Italienisch geführten Interview gesagt, dass sich die Mafia schon lange nicht mehr auf Palermo beschränken würde, sondern bereits in Mailand in den Aufsichtsräten großer Konzerne säße. Ich weiß noch heute, wie er das sagte, unter einem gewaltigen barocken Deckenfresko sitzend, auf dem rotwangige Putten über unseren Köpfen das Wappen von Palermo schwenkten. Gegen zwei Uhr morgens waren die Fotografin und ich endlich in sein Büro geführt worden, im Palazzo delle Aquile, die Sitzung des Stadtrats von Palermo war erst kurz zuvor beendet worden. Es leuchtete mir ein, dass die Mafia sich nicht auf Palermo beschränken würde, aber ich konnte mir nichts darunter vorstellen. In Palermo konnte man die Mafia riechen, hören, sehen. In Mailand nicht.
     
    Am nächsten Morgen gehe ich schon früh zum Vaporetto. Als ich durch San Lio laufe und meinen Rollenkoffer hinter mir herziehe, ruft mir der ansonsten notorisch mürrische Gemüsehändler ein »Buon Viaggio!« nach, was ich als wirklich gutes Zeichen deute. Vor kurzem traf ich bei ihm eine amerikanische Freundin. Sie war mit einer Gruppe von deutschen Freunden unterwegs, vier Frauen und ein Mann, weshalb meine Freundin sofort, mitten auf der Gasse stehend, den zwischen Auberginenkisten und Muskatellertrauben gedrängten Deutschen erzählte, dass ich über die Mafia schreiben würde, was einigen Mafiosi in Deutschland nicht behagt habe, weshalb man mich in Deutschland bedroht habe. Sie erzählte den Deutschen dann auch noch voller Verve davon, dass einige Seiten meines Buches auf Geheiß deutscher Gerichte geschwärzt worden seien, um die Persönlichkeitsrechte verschiedener Personen, die in meinem Buch vorkamen, zu wahren.
    Am Ende der Ausführungen meiner amerikanischen Freundin versuchten sich die Deutschen angemessen

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