Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
piepsend.
„Vielleicht haben wir ja wieder Glück“, sagte Strom-Tom. „Einen Versuch ist es wert.“
„Aber vorsichtig!“, zirpte Elenor.
Ich legte meine Hände auf das kalte Metall. Die Tür quietschte nicht einmal, als ich sie aufdrückte. Ich blinzelte dreimal schnell hintereinander und ein schwaches „Wahnsinn …“ entwich meinem Mund.
„Was denn?“, fragte Strom-Tom.
Elenors Kopf ruckte aufgeregt hin und her. „Wo sind wir?“
Die schwarze Kiste
Es sah aus wie das Motiv eines Entspannungs-Posters: Ein großer stiller See, auf dem die Strahlen der untergehenden Sonne glitzerten, in der Bildmitte ein breiter Holzsteg, an dessen Ende ein einsamer Liegestuhl stand, und im Hintergrund der Horizont in allen Farben eines drei Tage alten Blutergusses.
„Das ist wunderschön …“ Ich trat auf den Steg hinaus. Wellen schwappten glucksend an die Uferböschung.
„Was denn?“, fragte Strom-Tom wieder.
Ich betrachtete die schweren, wettergegerbten Planken unter meinen Füßen. Sie sahen aus wie schwere, wettergegerbte Planken halt so aussehen, aber sie fühlten sich nicht so an. Sie bewegten sich nicht, wenn ich mich bewegte, sie gaben nicht nach. Stirnrunzelnd strich ich über den Steg. Er war glatt wie eine Glasplatte.
„Das … das ist nicht echt, oder?“, zwitscherte Elenor.
Ich schüttelte den Kopf, ohne den glattpolierten Holzsteg aus den Augen zu lassen.
„Was denn??“, brüllte Strom-Tom.
„Das ist so was wie … wie ein 3D-Kino aus der Zukunft“, sagte ich. „Die Wände, der Boden, die Decke – alles besteht aus Monitoren. Ich glaube, das sind LCD-Bildschirme.“
„Wenn überhaupt LCDs“, verbesserte mich Strom-Tom. „Das D steht schon für Display.“
„Ist aber trotzdem sehr beeindruckend“, entgegnete ich trotzig.
„Und überhaupt nicht gut“, ergänzte Strom-Tom.
„Warum nicht?“
„Wenn das alles tatsächlich LCDs sind“, er betonte das Ds übermäßig stark, „dann sind wir im Herzen.“
„Was denn für ein Herz?“, fragte Elenor.
„Und von was überhaupt?“, fragte ich.
Noch bevor Strom-Tom antworten konnte, veränderte sich der Raum. Der See, der Steg und der Horizont lösten sich in Abertausend kleine Vierecke auf, um sich gleich darauf wieder zu neuen Formen zusammenzusetzen. Das Ergebnis zeigte bis unter die Decke reichende Bücherregale, eine Fensterfront mit zugezogenen lilafarbenen Vorhängen, zwei goldene Deckenstrahler und einen eichengetäfelten Schreibtisch, der so groß war, dass man problemlos auf ihm hätte Tischtennis spielen können. Elenor kommentierte dies alles mit aufgeregtem Zwitschern und einem langgezogenen: „Oooh!“
„Ein riesiger Bildschirmschoner“, hauchte ich atemlos und sah mich um.
Der Schreibtisch war, abgesehen von einer sorgfältig ausgerichteten Unterlage und einem ebenso sorgfältig platzierten Kugelschreiber samt Notizblock, leer. Schwere Einbände säumten die Bücherregale. Eine der Zimmerecken wurde von einem großen, mit dunkelbraunem Leder überzogenen Ohrensessel beherrscht. Daneben stand ein Beistelltisch mit einem altmodischen Scheibentelefon.
Ich stutzte. Ich kannte diesen Sessel. Nur woher?
„Da liegt was!“, lenkte Elenor meine Aufmerksamkeit auf das hellgraue Häufchen Baumwolle, dass vor dem Schreibtisch auf dem Teppich lag. In der stillen Aufgeräumtheit des Büros stellte es einen geradezu schreienden Fremdkörper dar.
„Das ist Omis Schürze!“
Ich hob sie auf. Der Stoff war genauso rau, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Schürze war real, daran gab es keinen Zweifel.
„Das bedeutet, Omi war hier“, sagte ich leise. „Aber wo ist sie jetzt?“
Anstelle einer Antwort zwitscherte Elenor: „Was ist das für ein Kästchen da?“
Ich schaute zur Seite. Neben einem der Deckenleuchter stand ein kleines, schwarz glänzendes Kästchen.
„Ist das echt?“, fragte Strom-Tom.
Ich strich über den Deckel des Kästchens. Er war glatt, feucht und kalt. Wie ein Eiswürfel. „Hmm …“, sagte ich.
„Wenn es echt ist, lass besser die Finger davon“, sagte Strom-Tom und fügte bedeutungsschwanger hinzu: „Wir sind hier im Herzen!“
„Was ist denn das für ein Material?“, murmelte ich und betastete weiter die schwarze Schatulle, die sich weder wie die Oberfläche eines Bildschirms noch wie die eines Kästchens anfühlte. Meine Finger fuhren in eine kleine Vertiefung, und der Deckel öffnet sich mit einem zufriedenen Schnaufen. Reflexartig sprang ich auf, streckte meine Hände in
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