Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
lang. Es war an der Zeit, einige grundliegende Dinge zu klären.
„Ich hätte gerne einen Tee. Eine große Tasse Brennnessel-Tee.“
Band 6
Dodos Test
Der Brennnessel-Tee-Test
Nachdem ich meine Bestellung aufgegeben hatte, passierte einen langen Moment lang erst einmal überhaupt nichts. Der Wüstenwurm surrte mit seinen vielen, kleinen, unglaublich schnellen Beinen über den Sand, draußen flogen die scheinbar immer gleichen Muster aus Felsen und Kakteen vorbei, und Elenor rutschte unruhig in ihrem Sitz hin und her, was ihr gelbes Federkleid zu einem rhythmischen Rascheln veranlasste.
Dann knackte es endlich im Lautsprecher und der Pilot sagte: „Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?“
„Meine Bestellung?“, fragte ich.
„Ganz genau“, erwiderte der Pilot. „Damit auch jeder weiß, worum es geht.“
„Es geht um unsere Getränkewünsche, oder?“, fragte ich vorsichtshalber.
„Selbstverständlich. Aber vielleicht erinnern sich ja nicht mehr alle daran.“
„Alle?“ Ich sah erst Elenor an, dann Agerian und machte abschließend einen Schwenk durch den Rest des Großraumabteils, um wirklich sicher sein zu können. „Aber außer uns Dreien ist doch niemand hier.“
„Es geht darum, dass manche Leser das Ende von Band 5 vielleicht schon wieder vergessen haben“, schaltete sich Strom-Tom ein. „Die haben auch noch andere Sachen zu tun. Wie zum Beispiel Staubsaugen, die Steuererklärung machen oder aufpassen, dass die Nudeln nicht überkochen.“
„Außerdem sind wir zu fünft, nicht zu dritt“, ergänzte Strom-Klaus.
In meinem Kopf hatte sich innerhalb weniger Sekunden eine Vielzahl von Fragen angesammelt, welche nun alle gleichzeitig versuchten, sich durch das Nadelöhr namens Mund nach draußen zu drücken, und sich dabei hoffnungslos ineinander verkeilten.
„Steuererklärung machen?“, setzte sich durch und schoss ins Freie.
„Zum Beispiel“, entgegnete Strom-Tom.
Stück für Stück löste sich der Fragen-Pfropfen. „Was denn für Leser überhaupt? Und was für ein Band 5?“
„Also wir hätten gerne zwei Eskimonaden“, unterbrach Agerian meine Aufarbeitung der Geschehnisse.
„Eiskalt, bitte“, ergänzte Elenor, ohne ihren Blick von dem Wüstenpanorama abzuwenden.
„Und du wolltest doch auch etwas trinken“, sagte Agerian zu mir. „Oder, Dodo?“
„Was?“, presste ich an den anderen Fragen vorbei.
„Du wolltest einen Brennnessel-Tee“, half Strom-Tom mir auf die Sprünge.
Ich nickte. „Ja, stimmt.“
„Dann los! Bestell einen!“
In Ermangelung eines direkten Gegenübers wandte ich mich in Richtung des Lautsprechers, auch wenn das streng genommen natürlich keinen Sinn ergab und sagte: „Ich hätte gerne einen Brennnessel-Tee.“
„Igitt!“, dröhnte es uns entgegen. „So etwas Abartiges führen wir nicht!“
„Brennnessel-Tee“, wiederholte ich für den Fall, dass der Pilot irrtümlicherweise Kakerlaken-Auflauf mit Maden-Ragout verstanden hatte. „Ich hätte gerne eine Tasse Brennnessel-Tee.“
„Tut mir leid“, sagte der Pilot in einem nicht besonders bedauernden Tonfall. „Das werden Sie zwischen hier und Dunkelstadt nirgendwo bekommen.“
„Aber warum denn nicht?“, fragte ich.
„Weil Brennnessel-Tee das ekeligste Getränk überhaupt ist!“
„So ein Mist!“, fluchte Strom-Tom, und ich musste ihm zustimmen.
Agerian sah genauso ratlos aus, wie ich mich fühlte. Elenor starrte noch immer aus dem Fenster, doch ich glaubte, ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.
„Wer so was trinkt, isst auch Kalaku-Kraut zum Frühstück!“, verlieh der Pilot seinem Ekel weiter Ausdruck.
Obwohl ich nur eine ungefähre Vorstellung davon hatte, was Kalaku-Kraut war, sprudelte Empörung in mir hoch. „Na, hören Sie mal! Was fällt Ihnen eigentlich ein? Meine Omi trinkt jeden Tag Brennnessel-Tee! Und die würde niemals irgendein Kraut zum Frühstück essen! Brennnessel-Tee ist übrigens sehr gesund. Der hilft besonders gut bei …“ Ich stutzte. „Moment mal …“
Agerian betrachtete mich mit sorgenvoller Miene, und sogar Elenor schenkte mir einen Seitenblick.
„Das ist es!“, rief ich. „Meine Omi! Bei uns im Küchenschrank haben wir jede Menge Brennnessel-Tee.“
Schlagartig hellte sich Agerians Gesicht auf. „Okaykay, das ist gut. Das ist sogar sehr gut! Dann wünschen wir uns einfach in die Speisekammer deiner Omi.“
Elenors Kopf ruckte herum. „Wünschen? Wie wollt ihr euch etwas wünschen? Ihr habt doch nicht
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