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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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wir genügend Abstand zur Fabrik gewonnen. Auch das gräuliche Leuchten, das alles umgab, nahm langsam ab, was jedoch auch damit zusammenhing, dass die Dämmerung einsetzte.
    Als wir den Wald erreichten, war es beinahe hell. Die Natur hatte sich noch nicht weit genug erholt, als dass es uns schwergefallen wäre, die kleine Lichtung mit dem Hügel und der Quelle zu finden.
    „Wir sind da“, sagte ich zu Agerian. „Dort, wo der Bach ins Freie tritt, liegt der Eingang nach Lichtwiese.“
    Das Wasser war noch immer pipiwarm, allerdings roch es irgendwie seltsam. Ich beugte mich hinunter und wurde unwillkürlich an das Ei-Brot erinnert, welches einmal die Sommerferien in meinem Rucksack verbracht hatte. Mit anderen Worten: Der Bach stank so erbärmlich, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Ich reckte meinen Kopf in Richtung Frischluft und atmete einige Male tief durch, bevor ich mich abermals bückte und den Tunnel betrat. Agerian folgte mir. Ich konnte noch nie lange die Luft anhalten, somit war es nicht verwunderlich, dass ich bereits sieben kurze Schritte später nach Luft schnappte. Hier drinnen war der Gestank sogar noch intensiver. Mein Magen rebellierte, das Schnarch-Duett in mir endete abrupt und Strom-Tom grummelte: „Was soll denn das?“
    „Sind wir schon da?“, fragte Strom-Klaus verschlafen.
    Ich wollte antworten, doch die Worte gingen in einem trockenen Würgen unter.
    „Was ist denn das für ein bestialischer Gestank da draußen?“, bemerkte jetzt auch Strom-Tom. Es klang, als würde er sich die Nase zuhalten.
    Ich verzichtete auf eine Antwort, um nichts zu riskieren.
    Mit jedem Schritt wurde der Lichtschein vom Eingang schwächer. Drei Schritte später erblickte ich die Mauer am Ende des Tunnels – beziehungsweise das, was von ihr noch übrig war.
    „Jemand hat ein Loch in den Eingang geschlagen“, sagte ich.
    „Das war bestimmt der Chef“, sagte Strom-Tom.
    „Das heißt, er hatte ebenfalls keinen S7“, schloss Strom-Klaus.
    Ich kletterte durch das Loch und erkannte, woher der bläuliche Schein kam.
    „Wir sind wieder in diesem Farben-Raum.“
    Wände, Boden und Decke waren gerade dabei, in ein sattes Himmelblau überzugehen, welches sich gleich darauf grünlich färbte, bis es einen Pfefferminz-Ton erreicht hatte.
    „Sieht nett aus“, fasste Agerian das Farbenspiel nüchtern in Worte.
    Und er hatte recht. Es war schön anzusehen, doch die hypnotisierende Faszination, die mich bei meinem ersten Besuch ergriffen hatte, blieb aus. Es war nicht mehr dasselbe, ohne dass ich sagen konnte, worin der Unterschied lag.
    „Komm“, sagte ich.
    Dann ging ich zu der schlichten, schwarzen Tür, öffnete sie, trat einen Schritt hinein in die Finsternis und fiel.

    Als ich wieder zu mir kam, war es still. Kein Vogelgezwitscher, kein Heulen eines asthmatischen Wolfes, nur gleichmäßige Ruhe. Ich schüttelte meinen Kopf hin und her, bis alles wieder an seinem Platz war, und öffnete die Augen.
    Auch Lichtwiese war nicht mehr dasselbe, doch im Gegensatz zum Farben-Raum waren die Veränderungen auf den ersten Blick erkennbar. Es sah aus wie ein Nachbau. Wie ein Modell. Die Bäume standen in langen Reihen nebeneinander. Ihre Stämme waren beinahe quadratisch, und der Abstand zwischen ihnen schien mit dem Zollstock abgemessen worden zu sein. Die Anordnung der Äste war bei jedem Baum gleich. Genauso verhielt es sich mit den Lianen. Auch in der Anordnung der Blumen und Büschen war auf den zweiten oder dritten Blick ein Muster zu erkennen. Nichts war zufällig. Alles folgte einer festen Ordnung.
    „Lichtwiese hat sich verändert“, sagte ich für die, die es nicht mit eigenen Augen sehen konnten.
    „Wie meinst du das?“, fragte Strom-Tom.
    „Es sieht aus, als wäre es am Reißbrett entworfen worden. Wie eine Nachbildung.“
    Doch das war nicht alles. Die Farben waren blass und matt. Lichtwiese hatte seinen Glanz verloren, als befände es sich hinter Milchglas.
    „Der Chef hat es halt gerne ordentlich“, sagte Strom-Tom.
    Plötzlich hatte ich einen säuerlichen Geschmack im Mund.
    „Wo sind denn die ganzen Tiere?“, fragte Agerian.
    „Das war bestimmt auch der Chef“, sagte Strom-Tom. „Tiere machen Dreck, wisst ihr? Und meistens halten die sich auch nicht an Arbeitspläne oder Quartalsvorgaben.“
    „Aber was soll das?“, fragte ich. „Ich meine, warum wurde Lichtwiese so … umgestaltet?“
    „Gute Frage …“
    „Vielleicht soll es so eine Art Nah-Erholungs-Gebiet werden“, warf

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