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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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Strom-Klaus ein. „Was das angeht, hat Dunkelstadt ja nicht besonders viel zu bieten.“
    Ich sah mich um, doch es gab bereits nichts Neues mehr zu entdecken. Sogar die unterschiedliche Länge der Grashalme schien berechnet. Ich spürte, wie mir Wasser in die Augen stieg.
    „Lichtwiese muss wieder so werden, wie es war …“
    „Wir haben den Löffel“, sagte Strom-Tom. „Wir haben die Macht, alles zu verändern.“
    „Ja …“
    „Wir sollten einen Plan machen“, schlug Strom-Klaus vor.
    „Wofür?“, fragte Strom-Tom.
    „Na ja, wir haben jeden Tag nur einen Wunsch. Also sollten wir uns genau überlegen, was wir uns wann wünschen.“
    „Du warst schon in der Schule so ein Streber.“
    „Ich finde die Idee eigentlich ganz gut“, schaltete sich Agerian ein.
    „Ich auch“, sagte ich.
    „Na, dann macht doch euren Plan“, grummelte Strom-Tom. „Mir doch egal!“
    „Auf jeden Fall müssen wir Omi retten“, begann ich.
    „Das wäre dann Wunsch Nummer eins“, notierte Strom-Klaus.
    „Und Tante Hablieblieb.“
    „Wunsch Nummer zwei.“
    „Und natürlich die echte Elenor.“
    „Nummer drei“, zählte Strom-Klaus.
    „Dann müssen wir noch Lichtwiese und unser Dorf wieder aufbauen.“
    „Nummer vier und fünf.“
    „Also fünf Tage noch“, fasste Agerian zusammen. „Den Wunsch für heute haben wir ja schon aufgebraucht.“
    „Fünf Tage“, sagte ich. „Dann ist alles wieder, wie es war.“ Es klang nach einer verdammt langen Zeit.
    Nachdem wir unseren Plan gemacht hatten, blieb uns nicht anderes übrig, als darauf zu warten, dass es Mitternacht wurde. Und das taten wir dann auch.
    Wir warteten.
    Zwischendurch machte sich Agerian auf, um etwas Essbares aufzutreiben, kehrte jedoch mit leeren Händen zurück. Wahrscheinlich hatte man auf Fruchtbäume und -sträucher bewusst verzichtet, weil zum einen Früchte nur Flecken machten und es zum anderen sowieso keine Tiere mehr gab.
    Die Zeit zog sich wie Kaugummi.
    Alter Kaugummi.
    Alter, durchgekauter Kaugummi.
    Es wurde wärmer und heller. Irgendwann dann wieder kälter und dunkler. Ich hätte so gerne geschlafen, doch es gelang mir einfach nicht. Mein Kopf war zu voll und zu schwer, um ihn hinzulegen.
    Nach mehreren Ewigkeiten verkündete Strom-Klaus: „Es ist zwölf! Wir haben einen neuen Wunsch frei!“
    „Dann wünsch schnell Omi zu uns!“, sagte ich.
    „Strom-Tom liegt auf dem Löffel.“
    „Dann soll er aufstehen.“
    „Er schläft.“
    „Dann weck ihn!“ Einen recht langen Moment lang wünschte ich mir, keine Strom-Männchen mehr in meinem Körper beherbergen zu müssen.
    Ein Rucken ging durch meinen Magen. „Hey, Strom-Tom …“
    „Noch fünf Minuten“, murmelte Strom-Tom. „Nur noch fünf Minuten, Mama. Elektro-Statik fällt heute aus.“
    „Strom-Tom, wach auf!“, rief ich, schüttelte meinen Bauch und sprang auf der Stelle.
    „Ja, ja, ist ja gut!“
    Ich hörte mit dem Schütteln und Springen auf.
    „Was ist denn überhaupt los?“, fragte Strom-Tom verschlafen.
    „Es ist Mitternacht. Wünsch Omi zu uns!“
    „Ach so … ja …“ Strom-Tom gähnte. „Alles klar, ich übernehm das schon.“
    Der Abflug kam so überraschend, dass ich nicht einmal Zeit zum Schreien hatte.

Das Ende

    Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, fuhr Omi mit mir in die Stadt und nahm mich das erste Mal mit auf den Jahrmarkt. Die Karussells, die bunten Lichter, die wummernde Musik, der Geruch der Süßigkeiten, die vielen Menschen – ich war sofort wie im Rausch, was mit Sicherheit auch damit zusammenhing, dass ich abgesehen von unserem Dorf noch nicht viel von der Welt kannte. Auch Omi schien sich der Atmosphäre des Jahrmarkts nicht entziehen zu können. Anders war es nicht zu erklären, dass sie mir erlaubte, elf Mal hintereinander mit dem Kettenkarussell zu fahren. Nach jeder Fahrt war ich überzeugt, dass dies meine letzte gewesen sei, doch jedes Mal gab Omi meinem Flehen und Betteln nach. Zehn Runden lang war es der Himmel auf Erden. Ich war schwerelos, und die Welt war unendlich und funkelte und roch nach Zuckerwatte. Beim elften Durchgang übergab ich mich, noch bevor die Fahrt zu Ende war.
    Als ich knapp zwanzig Jahre später zu mir kam, fühlte ich mich, als hätte ich nach diesem Malheur, wie Omi es nannte, noch ein Dutzend Fahrten in der Achterbahn rangehängt. Mit anderen Worten: Mir war speiübel und hundeelend.
    Mein Körper fühlte sich irgendwie zusammengekrümmt an. Mein Rücken tat weh. Die Decke war steinig und so

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