Von Liebe und Gift
großen, weißen Flokatifell vor dem Terrassenfenster. Neben ihm lag Nicholas, der wie ein Embryo zusammengerollt schlief.
„Ist es nicht niedlich, wie er hier liegt?“, fragte Neal, dabei strich er seinem Sohn über die Haare.
Francis nickte. Sie setzte sich zu den beiden auf den Boden, hielt sich dabei aber den Bauch fest. Da war Neals Aufmerksamkeit sofort geweckt. „Ist dir wieder schlecht?“
Francis schüttelte den Kopf, obwohl ihr tatsächlich nicht so gut war. Doch das hatte einen ganz anderen Grund.
„Ich war eben bei Dirk“, erklärte sie.
Ein Ruck ging durch den Körper ihres Bruders, und er sah sie fast verächtlich an.
„Du musst nichts sagen“, fuhr Francis fort. „Ich weiß alles. Dirk hat es mir erzählt.“
„Ach? Hat er das?“, entwich es Neal. Es klang sarkastisch. „Hat er dich jetzt gegen mich aufgehetzt? Also, wenn du glaubst, ich hätte Gero betrogen, dann …“
Francis schüttelte sofort den Kopf.
„Dirk hat so etwas nicht behauptet. Und aufgehetzt hat er mich auch nicht. Wir haben uns nur ausgesprochen.“
Neal lachte gestelzt, als er das hörte. „Ausgesprochen?“, wiederholte er. „Ihr kennt euch doch gar nicht.“
Francis seufzte. Ihr Bruder hatte Recht. Doch sie hatte das Gefühl, als könne sie Dirk verstehen, als könne sie nachvollziehen, was in ihm vorging. „Du hast ihn sehr gekränkt“, stellte sie daraufhin fest. „Es scheint, als hättest du ihn in London ausgenutzt …“
Da wurde Neal richtig wütend. „Ausgenutzt? Ich - ihn!?“ Er verzog das Gesicht vor Fassungslosigkeit. Aber seine Schwester sprach unbekümmert weiter:
„Du hast ihm Hoffnungen gemacht, dass es mit euch wieder etwas werden könnte. Und dann bist du einfach aus London abgereist, ohne dich zu verabschieden …“
Neal konnte nur den Kopf schütteln. Das alles war so unglaublich.
„Das ist seine Story“, sagte er. „Hat er dir auch erzählt, was damals passiert ist? Damals, als wir noch zur Schule gingen? Hat er es erzählt? Bestimmt nicht, oder?“
Francis dachte nach, zuckte mit den Schultern.
„Ja, doch. Er hat erzählt, dass ihr zu jener Zeit zusammen wart…“
Da wurden Neals Augen schmal wie Schlitze. Die unbändige Wut, die seit Jahren in ihm hauste, kam in geballter Form zum Ausdruck.
„Ich war damals sechzehn, als es passierte. Dirk war mein bester Freund, wir haben einiges zusammen erlebt. Er half mir dabei in der neuen Schule klarzukommen …“
Er senkte den Kopf, und Francis bemerkte sofort, wie sehr ihn diese Erinnerungen bewegten.
„Und dann … eines Tages“, fuhr Neal fort, „da hat er mich verführt, hat sich an mir vergriffen …“
Er stockte, sah nach draußen. Francis’ Augen waren weit geworden. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte.
„Es kam überraschend“, erzählte Neal weiter, „aber ich habe es über mich ergehen lassen, und letztendlich hat es mir doch gefallen.“
Er drehte seinen Kopf, um seine Schwester bei den weiteren Erzählungen genau ansehen zu können.
„Dirk hat mir gezeigt, was zwischen Männern laufen kann. Und ich bin drauf abgefahren …“
Er machte eine kurze Pause, in der er sich eine Zigarette anzündete.
Er dachte an die Zeit zurück, die er damals mit seiner ersten großen Liebe, Dirk, verbracht hatte. Er öffnete den Mund, um fortzufahren, um Francis zu schildern, was noch alles geschah. Er wollte berichten, von den Qualen, den Demütigungen, die Neal über sich ergehen lassen musste, da Dirk zu jenem Zeitpunkt psychisch krank gewesen war. Doch war es fair, ohne sein Wissen, von dieser Krankheit zu erzählen? Bei all der Wut, die Neal noch immer spürte, entschied er sich, nichts von Dirks Psychose zu erwähnen. Das war wirklich Vergangenheit und eine Sache, die nur ihn und Dirk etwas anging. Trotzdem war dessen Verhalten auch nach dem Krankheitsschub nicht viel besser gewesen.
„Er hat mich sitzen lassen“, erklärte Neal somit. „Von heut auf morgen ist er in die USA geflogen, um dort zu studieren. Er wollte Designer werden. Und ich wusste von nichts. Alle wussten es, nur ich nicht. Das tat weh, Francis, das sag ich dir!“
Seine Stimme war lauter geworden. Nicholas bewegte sich im Schlaf, wurde aber nicht wach. Neal legte eine Hand auf seinen kleinen Körper und fuhr fort:
„Das Schlimmste war: ich konnte mit niemandem reden. Ich war nicht mal siebzehn, hatte plötzlich Gefühle für Männer und konnte mich niemandem anvertrauen.“
Francis sah in seinen Augen den Zorn brodeln, die
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