Von Liebe und Gift
nackte Verzweiflung, die sich selbst nach fünfzehn Jahren nicht gelegt hatte.
„Dirk war derjenige, der mich heiß gemacht hat. Und er war es, der mich alleine gelassen hat. Und ich konnte sehen, wo ich bleibe mit meinen Gefühlen. Es war schrecklich, unendlich schrecklich …“
Er senkte den Kopf, konnte nicht weitersprechen. Er überlegte kurz, ob er nicht doch von Dirks psychischer Erkrankung erzählen sollte, aber das tat hier wirklich nichts zur Sache.
„Das tut mir leid“, hörte er Francis schließlich sagen. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter. Sie hatte gewusst, dass Neal in der Schule schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Beiläufig hatte er es einmal erwähnt, aber dass dieses Erlebnis so sehr in ihm arbeitete, hätte sie nie für möglich gehalten. „Wieso hast du nie etwas davon erzählt?“
Neal zuckte mit den Schultern. Er wusste selbst nicht genau, warum er sich nach diesem Ereignis so zurückgezogen hatte. War es verletzter Stolz? Oder einfach nur die Angst auf Ablehnung und Unverständnis zu stoßen?
„Du warst damals viel zu klein“, erklärte er. „Dad hat ein wenig mitbekommen, aber letztendlich wollte ich nicht darüber reden. Ich wollte es einfach vergessen.“
Er biss sich auf die Unterlippe, stellte fest, dass er das Thema absolut nicht vergessen hatte. Und jetzt wurde alles wieder aufgewühlt.
„Aber was ist jetzt mit Dirk?“, hakte Francis nach. „Willst du gar nichts mehr von ihm wissen?“
Neal schüttelte hartnäckig mit dem Kopf.
„Der soll nicht behaupten, dass ich ihn ausgenutzt habe, nur weil wir uns in London etwas amüsiert haben. Außerdem weiß er genau, dass ich jetzt Gero habe.“
Er zog kräftig an seiner Zigarette und sah wieder stur aus dem Fenster.
„Ihr müsst trotzdem noch einmal darüber reden“, sagte Francis. „Es belastet euch doch beide. Egal, ob es um euer Techtelmechtel in London oder um die Sache vor fünfzehn Jahren geht. Ihr müsst das klären und aus der Welt schaffen.“
Ruckartig öffnete sich Geros Zimmertür, so dass er sofort erwachte. Das Licht ging an. In der Tür stand Neal.
„Was ist denn los?“, erkundigte sich Gero. Verschlafen richtete er sich auf, um sich die Augen zu reiben. Der Wecker zeigte auf drei Uhr morgens.
Ohne zu antworten kam Neal näher. Sein Blick war merkwürdig ernst, seine Stimme harsch, als er rief: „Steh auf!“
Gero zögerte. „Wieso?“
„Aufstehen!“, forderte Neal erneut. „Nun mach schon!“
Da sein Freund sich nicht schnell genug erhob, zerrte Neal ihn am Arm.
„Au!“, gab Gero von sich, der den festen Griff widerwillig zuließ und schließlich neben Neal auf die Beine kam. „Was soll das denn?“
„An die Wand!“, schrie Neal, „wird’s bald!“
Er schubste Gero von sich, so dass der geräuschvoll gegen den Schrank prallte, dabei leicht in die Knie ging, aber schon im nächsten Moment Neals Hand an seinem Nacken spürte. Mit Gewalt wurde er gegen die Wand gedrückt. Gero merkte, wie seine Schulter schmerzte und ebenso sein Gesicht. Er konnte sich nicht erklären, was das alles zu bedeuten hatte. Er wehrte sich nicht. Vielleicht hätte er um Hilfe schreien sollen, doch wollte er, dass Thilo aufmerksam wurde? Und warum sollte er schreien? Sein Freund wollte doch sicherlich nichts Böses?
„Was soll das?“, fragte Gero abermals. Seine Stimme zitterte dabei ängstlich.
Er bekam wieder keine Antwort, stattdessen hörte er Neals aufgeregtes Atmen hinter sich. Er bemerkte Neals Hände, die sich an ihm zu schaffen machten. Es war keine Zärtlichkeit, die er spürte, sondern Gewalt und Härte.
Unliebsam wurde Gero von Neal entkleidet. Mitunter riss der an seiner Kleidung und seinen Haaren. Verzweifelt biss sich Gero auf die Lippen. Er unterdrückte Schreie, als Neal gewaltsam in ihn eindrang. Passierte das wirklich? Konnte das denn sein? Wieso?
Wie so oft hatte Francis mehr Essen gekocht, als nötig war. Ihr kleiner schmächtiger Sohn war kein großer Esser, und sie selbst aß oft in der Kantine. So kam es auch an diesem Abend vor, dass sie Gero anrief und ihn zum Essen einlud.
Hoch erfreut kam Gero wenige Minuten später in Francis’ Wohnung, in der es herrlich duftete.
„Was hast du denn gekocht?“, erkundigte er sich neugierig.
Francis kam aus der Küche. „Schnitzel mit …“ Schlagartig verstummte sie. Mit großen Augen sah sie Gero an. „Was hast du denn gemacht? Wie siehst du denn aus?“ An seiner Stirn erblickte sie einen blauen
Weitere Kostenlose Bücher