Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
Grundregel: Man weiß nie sicher, wie es ausgeht. Jeder kann einen Glückstreffer landen. Übergroßes Selbstvertrauen ist immer ein Fehler. Trotzdem muss man ganz klar sagen, dass Coach Bobby praktisch keine Chance hatte. Ich will nicht angeben oder unbescheiden wirken. Trotz allem, was die Eltern auf den wackeligen Tribünen mit ihren Privattrainern und den stark übertriebenen Trainingsplänen für Drittklässler-Ligen glauben wollen, werden die meisten großen Sportler nicht auf dem Trainingsplatz gemacht, sondern sie wachsen in der Gebärmutter heran. Ja, natürlich kommen dann noch der Wille, das Training und die Spielpraxis dazu, aber das Wichtigste ist und bleibt die natürliche Begabung.
Die Veranlagung ist stärker als die Erziehung.
Ich bin mit unglaublich guten Reflexen und einer ausgezeichneten Auge-Hand-Koordination gesegnet. Das ist keine Angeberei. Das ist eine Eigenschaft, wie Haarfarbe, Körpergröße oder ein sehr gutes Gehör. Das hat man einfach. Und damit habe ich noch gar nichts über das jahrelange Training gesagt, dem ich mich unterzogen habe, um diese körperlichen Fähigkeiten zu verbessern und Kampftechniken zu erlernen. Das kam allerdings auch noch dazu.
Coach Bobby handelte wie erwartet. Er trat vor und holte zu einem wilden Schwinger aus. Gegen einen erfahrenen Kämpfer ist ein Schwinger kein sehr wirkungsvoller Schlag. Denn wenn es wirklich drauf ankommt, erkennt man schnell, dass die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten eine Gerade ist. Die Schläge kommen einfach besser, wenn man diese mathematische Grundregel im Laufe eines Kampfes nicht aus den Augen verliert.
Ich wich etwas nach links aus. Nicht viel. Nur so weit, dass ich den Schlag mit der linken Hand abwehren konnte, aber noch nah genug für einen Konter war. Ich trat in die Lücke, die sich durch Coach Bobbys Schlag in seiner Verteidigung aufgetan hatte. Die Zeit verging jetzt langsamer. Ich hatte die Auswahl zwischen mehreren weichen Zielen.
Ich entschied mich für den Kehlkopf.
Ich beugte den rechten Arm und rammte ihm den Unterarm auf den Adamsapfel.
Coach Bobby krächzte. Und in diesem Augenblick war der Kampf auch schon zu Ende. Das wusste ich. Jedenfalls hätte ich es wissen müssen. Ich hätte zurücktreten, ihn zu Boden gehen lassen und zusehen müssen, wie er dalag und nach Luft schnappte.
Aber seine höhnischen Worte klangen mir immer noch in den Ohren…
»Der ist groß und beweglich … Hey, Junge, kannst du das nochmal machen? … Wir werden ihn uns für den Rest der Saison vornehmen … Sobald sich eine Gelegenheit findet, eine fiese Bemerkung zu machen, werden wir die nutzen … Feigling.«
Ich hätte ihn einfach zu Boden gehen lassen sollen. Dann hätte ich ihn fragen sollen, ob er genug hatte, und es damit gut sein lassen. Aber mein Zorn war noch nicht verraucht. Ich konnte ihn nicht im Zaum halten. Ich beugte den linken Arm und setzte dazu an, mich mit voller Kraft gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Ich wollte dem kräftigen Mann den Ellbogen direkt ins Gesicht schlagen.
Während der Drehung erkannte ich, dass es ein vernichtender Schlag werden würde. Ich würde ihm die Gesichtsknochen eindrücken. Er würde mehrere Operationen über sich ergehen lassen und monatelang Schmerzmittel einnehmen müssen.
Im letzten Moment kam ich halbwegs zu Sinnen. Ich brach den Schlag nicht ab, zog den Arm aber etwas zurück. Statt mitten ins Gesicht traf mein Ellbogen Bobbys Nase. Blut spritzte. Es klang, als wäre jemand auf einen trockenen Zweig getreten.
Bobby ging zu Boden.
» Bobby!«
Assistenztrainer Pat. Ich drehte mich zu ihm um, hob die offenen Hände und rief: » Nicht!«
Aber es war zu spät. Pat trat einen Schritt vor und ballte die Faust.
Win bewegte seinen Körper kaum. Nur sein Bein. Er trat kurz gegen Assistenztrainer Pats Knie. Es knickte auf unvorhergesehene Art zur Seite. Pat schrie und fiel in den Dreck, als hätte man auf ihn geschossen.
Win lächelte, zog die Augenbrauen hoch und sah die anderen beiden Männer an. » Noch jemand?«
Die beiden trauten sich kaum zu atmen.
Mein Zorn war schlagartig verraucht. Coach Bobby kniete vor mir und hielt seine Nase wie ein verwundetes Tier. Ich sah zu ihm hinunter. Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr ein geschlagener Mann einem kleinen Jungen ähnelt.
» Ich helfe Ihnen«, sagte ich.
Blut ergoss sich aus seiner Nase und lief zwischen den Fingern hindurch auf den Boden. » Lassen Sie Ihre Hände von mir.«
» Sie müssen da
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