Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
traurig ausgesehen. Jetzt wirkte sie ernüchtert. Terese sah mich an. Ich nickte.
Wir mussten noch eine Schippe drauflegen.
Terese sagte: » Wir haben noch ein paar Fragen zum Unfall.«
Karen zuckte zusammen, als ob wir ihr einen Elektroschock versetzt hätten. Ihr Blick schoss hoch, und sie starrte etwas benommen ins Leere. Ich hatte mich gefragt, wie sie auf das Wort » Unfall« reagieren würde, ob sie sofort wusste, wovon Terese sprach. Offensichtlich wusste sie es.
» Was ist damit?«
» Du warst doch da. Am Unfallort meine ich.«
Karen antwortete nicht.
» Warst du da?«
» Ja.«
Terese wirkte überrascht. » Das hast du mir nie erzählt.«
» Warum hätte ich dir das auch erzählen sollen? Nein, streich das– wann hätte ich dir das auch erzählen sollen? Wir haben nie über diesen Abend gesprochen. Niemals. Du bist aus einem zweiwöchigen Koma aufgewacht, da sag ich doch nicht als Erstes: » Hallo, wie fühlst du dich? Ich war übrigens am Unfallort.«
» Erzähl mir alles, woran du dich erinnerst.«
» Wieso? Was macht das denn noch für einen Unterschied?«
» Erzähl’s mir.«
» Ich liebe dich, Terese. Und ich werde dich immer lieben.«
Irgendetwas hatte sich verändert. Ich sah es an ihrer Körpersprache. Wahrscheinlich hatte sie die Wirbelsäule etwas weiter aufgerichtet. Tereses beste Freundin war verschwunden. Eine Widersacherin kam zum Vorschein.
» Ich liebe dich auch.«
» Ich glaube nicht, dass ein Tag vergangen ist, an dem ich nicht an dich gedacht hätte. Aber du warst verschwunden. Du hattest deine Gründe und den Schmerz, und ich verstand das. Aber du warst gegangen. Ich hatte mir mit diesem Mann ein Leben aufgebaut. Wir hatten auch unsere Probleme, aber Rick war mein Ein und Alles. Verstehst du das?«
» Natürlich.«
» Ich habe ihn geliebt. Er war der Vater meines Sohns. Matthew ist erst vier Jahre alt, und jemand hat seinen Vater ermordet.«
Terese wartete.
» Deshalb trauern wir jetzt. Ich muss das verarbeiten. Ich muss versuchen, mein Leben in den Griff zu kriegen und mein Kind zu schützen. Also, so leid es mir tut, aber ich werde jetzt nicht über einen Autounfall reden, der vor zehn Jahren stattgefunden hat. Nicht heute.«
Sie stand auf. Das war alles vollkommen plausibel, und trotzdem klangen ihre Worte seltsam hohl.
» Das versuche ich auch gerade«, sagte Terese.
» Was?«
» Ich versuche, mein Kind zu schützen.«
Wieder sah Karen aus, als hätte man ihr einen Elektroschock versetzt. » Was redest du da?«
» Was ist mit Miriam passiert?«, fragte Terese.
Karen musterte Tereses Gesicht. Dann wandte sie sich an mich, als erhoffe sie sich von mir zumindest einen Hauch von Zurechnungsfähigkeit. Ich sah sie ausdruckslos an.
» Hast du sie damals am Unfallort noch gesehen?«
Aber Karen Tower antwortete nicht. Sie öffnete die Schiebetür und mischte sich unter die Trauergäste.
16
Als Karen den Drawing Room verließ, ging ich zum Schreibtisch.
» Was machst du?«
» Herumschnüffeln.«
Auf dem dunklen Mahagonischreibtisch lag ein Vergrößerungsglas mit vergoldetem Griff, der auch als Brieföffner diente. In den antiken Briefhaltern standen aufgeschlitzte Umschläge. Ich war nicht stolz auf das, was ich machte, fand aber auch nichts Furchtbares daran. Ich zog meinen neuen BlackBerry heraus. Er hatte eine ziemlich gute Kamera. Ich zog die Briefe aus den Umschlägen, sah sie mir an, legte ein paar auf den Schreibtisch und fotografierte sie.
Ich entdeckte Kreditkarten-Abrechnungen. Die Zeit reichte nicht, um sie alle genau durchzugehen, aber eigentlich brauchte ich sowieso nur die Kontonummern. Da waren Telefonrechnungen (die mich interessierten) und Stromrechnungen (die mich nicht interessierten). Ich öffnete die Schubladen und sah nach, was sich darin befand.
» Was suchst du?«, fragte Terese.
» Einen Umschlag mit der Aufschrift ENTSCHEIDENDER HINWEIS.«
Natürlich hoffte ich auf ein Wunder. Ich suchte irgendetwas über Miriam, vielleicht Fotos. Die fand ich nicht. Aber immerhin hatte ich ein paar Rechnungen, die Kreditkarten- und Telefonnummern. Über die müssten wir an weitere Informationen herankommen. Ich hoffte noch auf einen Terminkalender, entdeckte aber keinen.
Zufällig stieß ich dann auf ein paar Fotos. Ich nahm an, dass die Personen darauf Rick, Karen und ihr Sohn Matthew waren.
» Ist das Rick?«, fragte ich.
Terese nickte.
Ich wusste nicht recht, was ich von ihm halten sollte. Er hatte eine lange, weit hervorspringende
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