Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
in diesem Zustand.«
Sie sagte nichts.
» Was ist?«
» Ich glaube nicht, dass du in der Verfassung dafür bist.«
» Das ist nicht deine Entscheidung.«
Sie überlegte. » Da hast du wohl recht.«
» Also?«
» Also hab ich ein paar Infos für dich, zum einen über den Arzt, mit dem Collins über die Huntington-Krankheit gesprochen hat, und dann noch über diese Angels-Wohltätigkeitsorganisation.«
» Zum Beispiel?«
» Das hat Zeit. Wenn du das wirklich ernst meinst, wenn du wirklich schon so weit bist, musst du auf diesem Handy diese Nummer wählen.«
Sie gab mir ein Handy, verließ das Büro und schloss die Tür hinter sich. Ich starrte die Telefonnummer an. Ich kannte sie nicht, alles andere hätte mich allerdings auch überrascht. Ich tippte die Ziffern ein und drückte die Verbinden-Taste.
Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine bekannte Stimme: » Willkommen zurück von den Toten, alter Freund. Wir müssen uns an einem geheimen Ort treffen. Ich fürchte, wir haben verdammt viel zu besprechen.«
Es war Berleand.
25
Berleands » geheimer Ort« lag in der Bronx.
Die Straße war sehr heruntergekommen, der Treffpunkt eine Spelunke. Ich sah noch einmal auf den Zettel, den ich mir geschrieben hatte, es stimmte aber alles. Es handelte sich um ein Striplokal, das sich, wie das Schild verriet, Upscale Pleasures nannte, obwohl das Etablissement in meinen Augen weder besseres noch überhaupt irgendwelches Vergnügen versprach. Ein kleineres Neonzeichen behauptete, dass es ein Exklusiver Striptease-Club wäre. Den Begriff › exklusiv‹ konnte man in diesem Fall nicht als einen inneren Widerspruch betrachten, vielmehr war er vollkommen bedeutungslos. Wenn man von einem » exklusiven Striptease-Club« sprach, war das fast so, als würde man von einem » guten Toupet« sprechen. So gut oder schlecht es auch war– es war und blieb ein Toupet.
Der Raum war dunkel und fensterlos, so dass es drinnen jetzt, also zur Mittagszeit, genauso aussah wie um Mitternacht.
Ein großer Mann mit kahlgeschorenem Kopf trat auf mich zu und fragte: » Kann ich Ihnen helfen?«
» Ich suche einen Franzosen, so Mitte fünfzig.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. » Das ist dienstags«, sagte er.
» Nein, ich meine…«
» Ich weiß schon, was Sie meinen.« Er unterdrückte ein Lächeln und deutete mit dem kräftigen Arm, auf den ein grünes D tätowiert war, in Richtung Bühne. Ich hatte erwartet, dass Berleand irgendwo in einer ruhigen, dunklen Ecke saß, aber ganz im Gegenteil, er saß direkt vorne vor der Bühnenmitte, sah nach oben und konzentrierte sich voll und ganz auf… äh… die Künstlerin.
» Ist das Ihr Franzose?«
» Das ist er.«
Der Türsteher drehte sich wieder zu mir um. Auf seinem Namensschild stand Anthony . Ich zuckte die Achseln. Er sah durch mich hindurch.
» Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?«, fragte er.
» Sie könnten mir sagen, dass ich absolut nicht aussehe wie ein Typ, der in so einen Laden geht, insbesondere nicht tagsüber.«
Anthony grinste. » Soll ich Ihnen sagen, was für Typen nicht in so einen Laden reingehen, insbesondere nicht tagsüber?«
Ich wartete.
» Blinde.«
Er drehte sich um und ließ mich stehen. Ich ging weiter in Richtung Theke und Berleand. Aus der Anlage plärrte Beyoncé und verkündete ihrem Liebhaber, dass er nichts über sie wissen müsste, dass sie jederzeit einen anderen Mann haben könnte und dass er austauschbar sei. Dieses Statement war ziemlich albern. Du bist Beyoncé, verdammt nochmal. Du bist toll, du bist berühmt, du bist reich, du kaufst deinen Liebhabern teure Autos und Klamotten. Hey, logisch, für dich ist es natürlich unmöglich, einen anderen Kerl an Land zu ziehen. Girl-Power.
Die Oben-ohne-Tänzerin auf der Bühne bewegte sich in einem Tempo, das ich als » apathisch« bezeichnet hätte, wenn sie ein bisschen zugelegt hätte. Ihr gelangweilter Gesichtsausdruck nährte in mir den Verdacht, dass sie heimlich die Dauerübertragung aus dem US-Senat auf C-SPAN 2 guckte und die Stange nicht so sehr eine Tanz-Requisite als vielmehr ein notwendiger Halt war, der sie vor dem Umfallen bewahrte. Ich möchte hier nicht prüde erscheinen, trotzdem erschließt sich mir der Reiz von Oben-ohne-Schuppen nicht so wirklich. Die geben mir einfach nichts. Nicht, dass ich die Frauen unansehnlich fände– manche ja, andere nicht. Ich habe mich einmal mit Win darüber unterhalten– was allerdings immer ein Fehler ist, wenn es ums
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