Von Moerdern und anderen Menschen
Sonnabendnachmittag in Köln-Bonn an – offiziell sozusagen. Sein Sohn verlor dann aber bald die Nerven und inszenierte sehr geschickt ein Spielchen – wenn der Ausdruck gestattet ist –, das unweigerlich zur Aufklärung des Falles führen mußte.»
Jutta Machniks Gasthaus am Bahndamm wirkte wie ein Strandrestaurant Mitte Oktober: müde am Ende einer zu langen Saison. Ein Teil der Stühle war hochgestellt, das Billard abgedeckt, die Musikbox ausgeschaltet. Ganze vier Männer tranken heute ihr Bier, zwei davon am Stammtisch.
«Ist das jetzt ruhig hier», sagte Sendrowski. «Frau Machnik, ‘n Pils noch.»
Jutta antwortete vom Tresen her. «Ja, sofort.»
«Ob Kujawa noch kommt?» fragte Waller.
«Ich glaub nicht. Außerdem, seine Frau ist ja auch wieder da.»
Sie stellte ihnen das Bier auf den Tisch. «So – bitte. Sehr zum Wohle.»
«Wie isses denn», fragte Waller, «wolln Sie nicht ‘ne Runde Skat mit uns spielen? Uns fehlt der dritte Mann!»
Jutta wischte sich die Hände an der Schürze ab. «Ach, wissen Sie, zum Spielen…»
«Nun mal Kopf hoch – Ihre Schuld war’s doch nicht. Meine Frau sagt auch, daß Sie’s ganz richtig gemacht haben.» Waller lächelte ihr zu.
«Aber trotzdem…»
«Und wegen Christian, da machen Sie sich mal keine Sorgen.»
«Der hat uns doch allen bewiesen, daß es noch so was wie ein Gewissen gibt», sagte Sendrowski.
«Und Ihr Mann ist doch nun auch übern Berg, jetzt, wo die Kugel raus ist aus der Lunge», sagte Waller.
«Entschuldigung, ich muß nur mal… Die Ines ist gerade gekommen.» Sie ging schnell zum Tresen zurück.
Ines wartete in der Nische, in der das Telefon stand. «Ich will nicht weiter stören…»
«Du willst nur auf Wiedersehen sagen, ja?»
«Ich verdien in Berlin bei Schering wesentlich mehr als hier», sagte Ines und ließ die Wählerscheibe surren.
«Aber zum Prozeß, da kommst du doch noch mal?»
«Sicher. Ja, aber ich komm doch sonst auch öfter, Christian besuchen, wenn Sprechzeiten sind.»
«Wenn Sprechzeiten sind, ja…» wiederholte Jutta Machnik.
«Und Sie? Hat’s heute geklappt?» fragte Ines.
«Ja, alles verkauft. Morgen ist Schluß hier.»
«Und die Scheidung?»
«Ist eingereicht.» Sie kippte einen Klaren.
«Scheißspiel…»
«Kannste zweimal sagen.» Sie schenkte sich noch einen Klaren ein.
Die mit ihrem Odysseus! dachte Christian. Kalter Kaffee. Stimmt doch gar nicht… Der hat -zig Herren umgelegt, die nicht mit seiner Frau gebumst hatten. Und was isser? Ein Held isser. Weltliteratur isser. Aber wenn du einen kaputtmachst, versehentlich, der sehr wohl …
Er konnte nicht einschlafen. Er lag auf dem Rücken und starrte zur Decke hinauf. Die Straßenbeleuchtung draußen warf den Schatten des Fenstergitters auf den rissigen Verputz, und wenn der Peitschenmast leicht im Wind hin- und herschwang, bewegte sich das Gitter an der Decke.
Gitter.
Er überlegte, ob es besser gewesen wäre, nach Kanada zu gehen.
Ein Sieg der Vernunft
Seywald lief durch die Flure des ARIANE-Hochhauskomplexes wie ein Widerstandskämpfer, der versehentlich ins Hauptquartier der Sicherheitspolizei geraten ist. Jahrelang hatte er mit seinem Juso-Arbeitskreis gegen diese Wohnmaschine gekämpft – nun war er selber hineingeraten, wenn auch aus familiären Gründen… Was hatten sie nicht alles in ihren Flugblättern gegen dieses Abschreibungsobjekt geschrieben, das als Alterssicherung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker deklariert worden war: Kranke Menschen, kranke Gesellschaft, kranke Architektur. Denkmal des unbekannten Beutelschneiders. Der Anblick dieses Betonklotzes ist unerträglich – man kann ihm nur dadurch entgehen, daß man einzieht… Bewirkt hatten sie mit ihren Aktionen nicht das geringste, abgesehen mal von zwei – allerdings im Sande verlaufenen – Parteiausschlußverfahren, was Seywald zu dem bissigen Kommentar: Recht hat immer Rechte! veranlaßt hatte.
Nach Lage der Dinge schien es fast so, als wolle sich das Bauwerk jetzt an ihm rächen, denn nun irrte er schon seit zehn Minuten durch die endlosen Gänge und hatte das Apartment seiner Schwester immer noch nicht gefunden.
Als er dann endlich dank der Hilfe eines vorübereilenden Mannes ans Ziel gelangt war, tat sich auch auf wiederholtes Klingeln hin in der Wohnung drinnen nicht das geringste. Daraufhin klopfte er, anfangs behutsam, dann kräftig, und schließlich hämmerte er mit beiden Fäusten gegen die Tür.
«Isolde – aufwachen!»
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