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Von Moerdern und anderen Menschen

Titel: Von Moerdern und anderen Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Liebenhagen sah ihn bedauernd an. «Tut mir leid… Aber Sie können gern zu mir hereinkommen, Herr Seywald, und bei mir warten, bis Ihre… Sehen Sie sich doch mal an, wie feudal wir hier wohnen: Die Appartements» – er sprach es französisch aus – «erstrecken sich in diesem Teil des Komplexes über zwei Stockwerke.»
    Seywald schaute sich um. «Ist das nicht ganz schön teuer?»
    «Tja…» Die Kühl schnalzte vieldeutig mit der Zunge.
    «Bitte, treten Sie doch näher, Herr Seywald», sagte Herr Liebenhagen, dem solche Laute sichtlich unangenehm waren.
    «Danke, ja, aber ich möchte Ihnen keine weiteren… Sagen Sie bitte, Frau Kühl, haben denn die Hausmeister hier nicht auch so ‘n Generalschlüssel, so einen, der überall reinpaßt?»
    Sie schlug sich die flache Hand vor den Kopf. «Ja, klar, bin ich denn schon ganz…! Ich sag ja immer: im Koppe fängt’s an.» Sie suchte nach ihrem Schlüsselbund. «Das macht ja sonst alles mein Mann… Komm Se man mit, Herr Liebenhagen, von wegen die Zeugen…»
    «Aber, Frau Kühl!» wandte Seywald ein.
    «Wir harn da unsere Vorschriften, wenn wir ‘ne Wohnung öffnen – mindestens zwei Zeugen.»
    «Na schön», sagte Seywald. Vielleicht wollte sie auch mit einem so bärtigen Menschen, wie er es war, nicht allein in der Wohnung sein.
    So gingen sie über den Flur.
    «Am besten, ich nehm gleich ‘nen Eimer kaltes Wasser mit, damit ich sie endlich aus’m Bett krieg», sagte Seywald. «Die hat schon als Kind so ‘n unheimlich tiefen Schlaf gehabt.»
    «Und unsereins wacht schon auf, wenn oben im Penthouse einer niest», lachte Herr Liebenhagen. «So, da sind wir ja schon. Dann versuchen Sie mal Ihr Glück, Frau Kühl.»
    Seywald hielt sie zurück. «Da hinten am Fahrstuhl – kommt sie da nicht? – Isy!» rief er.
    «Nee», sagte die Kühl, «das is eine von den Hostessen aus’m Zwölften.»
    «Ich hab sie ja auch schon ‘n Jahr nich mehr gesehen», sagte Seywald entschuldigend.
    Die Kühl schloß die Tür auf. «Dann man rein in die gute Stube.»
    Das Tonbandgerät, das sahen sie schon vom Flur aus, lief noch. Mitgeschnittener Jazz – Al Jarreau, wie Seywald meinte.
    «Fräulein Seywald, Besuch für Sie!» rief Herr Liebenhagen.
    Die Kühl hatte sich als erste einen Überblick verschafft. «Sie harn recht, keiner da!»
    «Das Schlafzimmer ist doch oben bei ihr», sagte Herr Liebenhagen.
    «Isy – Isolde!» rief Seywald.
    «Gehn wa mal richtig rein», sagte die Kühl.
    «Hier durch die Diele…» sagte Liebenhagen.
    Die Kühl ging voraus, folglich sah sie Isy als erste. «Mein Gott, da liegt se ja! Ganz blutig…!»
    Schon kniete Seywald neben ihr auf dem Fußboden. «Isolde, Isy, Mensch, Mädchen…!»
    «Sie muß da oben von der Leiter, als sie die Birne…» stammelte Herr Liebenhagen, «… und mit dem Kopf auf den Marmortisch hier.»
    «Isy, Isolde, sag doch was…» Seywald wendete ihren Kopf hin und her und tat, was er im Erste-Hilfe-Kursus gelernt hatte.
    Herr Liebenhagen sah auf den lindgrünen Teppich. «… und alles voller Blut.»
    Seywald schrie die beiden an. «Stehn Sie doch nicht so dußlig rum – ‘n Arzt, die Feuerwehr… Wo ist das Telefon?»
    «Ja, sofort, ich…» Die Kühl lief in die Diele zurück, wo sie Isys korallenroten Apparat gesehen hatte.
    Seywald versuchte es noch einmal. «Isy, ich bin da, Andreas… Hörst du mich? Sag doch was!»
    Drüben schrie die Kühl ins Telefon: «Ja, ein Unfall, schnell, ARIANE-Hochhaus, 1418…!»
    «Sie ist tot, Herr Seywald», sagte Herr Liebenhagen.
     
     
    Piesarczik liebte die Wochenenden, in denen er allein in seinen Büroräumen sitzen und arbeiten konnte. Niemand störte ihn da, und das einzige Geräusch war das leise Zischen der Klimaanlage. Unten sah er die Autos auf verstopften Straßen stadtauswärts rollen, sah er die Menschentrauben an den Ampeln und an den Haltestellen – hier oben im 16. Stockwerk, der verkaufsoffene Sonnabend interessierte ihn nicht; war er mit sich allein und brauchte weder die Blicke noch die Ausdünstungen fremder Menschen zu ertragen. Er lebte nicht für seine Firma, er lebte durch die Firma. Ohne sie hätte er irgendwo als kleiner Sachbearbeiter seine Tage gefristet.
    Diese einsamen Stunden hier konnte er überdies nutzen, die Briefe zu tippen, die er nicht einmal seine Sekretärin sehen lassen wollte.
    So saß er auch heute wieder an der Schreibmaschine und ließ die Finger so schnell über die Tasten gleiten, als wäre das sein täglicher Job. Schon auf der

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