Von Moerdern und anderen Menschen
doch. Sie kommen doch unmöglich über die Mauer.»
«Es muß doch aber…»
«Bleiben Sie ganz ruhig!» Moderegger ging zur Wechselsprechanlage. «Ich muß jetzt aufmachen.» Er drückte den Knopf. «Ja, bitte?»
Es war seine Frau. «Sag mal, was soll denn das? Du brauchst ja ewig. Mach mal auf, ich hab die Schlüssel vergessen.»
Moderegger wandte sich flüsternd zu Piesarczik um. «Meine Frau…»
«Mit wem sprichst du denn da?» forschte sie.
«Mit wem schon. Komm doch rein!»
«Was ist denn das wieder für ‘n Ton?»
«Ich hab dein Mißtrauen bald mal satt! Nun komm schon, die Tür ist offen!» Er schaltete die Anlage ab.
«Bitte kein Wort zu Ihrer Frau», bat Piesarczik.
«Die hat genug zu tun, mich zu kontrollieren.» Moderegger ging zur Tür, öffnete sie und ging seiner Frau ein paar Schritte entgegen. «Kann ich dir was abnehmen?»
«Bemüh dich nicht, sind nur Vaters schmutzige Sachen…» Sie stürmte in die Diele.
Rita Moderegger, geborene Rehlenberg, drei Semester Kunstgeschichte, fünf Semester Anglistik, sieben Jahre Springreiten, gehörte zu jenen Frauen, denen das Wort Emanzipation ein Fremdwort bleiben mußte. Nicht etwa, weil sie das Dienen und das Zurückstecken hinter den Bedürfnissen des Mannes als etwas Gottgegeben-Natürliches angesehen hätte, sondern weil ihr Herkunft und Geld schon immer ermöglicht hatten, die Rolle der stolz-souveränen und unnahbaren Königin zu spielen, die in den Männern nur Drohnen sah. Wie sie jetzt in Stiefeln und passendem Folklore-Rock vor Moderegger stand, der kaum mehr als Jockey-Größe hatte, das war schon ein kleiner Unterschied zur Verkäuferin im Kaufhaus, die vor ihrem Abteilungsleiter Haltung annahm.
Moderegger schloß die Tür hinter ihr. «Ich denke, du wolltest bis zum Abendessen im Krankenhaus bleiben?»
Sie versuchte, an ihrem Mann vorbei ins Zimmer zu sehen. «Er will unbedingt seinen kleinen Farbfernseher im Zimmer haben; der alte, den die haben, der paßt ihm nicht.»
«‘ne bessere Ausrede ist dir wohl nicht eingefallen?» fragte er.
«Wer ist denn da?» wollte sie wissen.
«Elke Sommer und Barbra Streisand. Du kannst aber nicht rein. Sie sind nackt.»
«Also, manchmal könnt ich dich kaltblütig…» Sie ließ ihn einfach stehen und stürmte ins Wohnzimmer.
«Ach – Herr Piesarczik!»
Piesarczik erhob sich. «Grüß Gott, gnädige Frau.»
Sie nahm die Huldigung eines angedeuteten Handkusses entgegen. «Der Chef persönlich… Freut mich!»
«Und mich erst! Geht es Ihrem Vater wieder besser?» erkundigte er sich.
Sie sah ihm voll ins Gesicht. «Danke, danke, es wird schon wieder werden… Aber das ist ja schrecklich, was?»
«Was ist schrecklich?» fragte er.
«Ich bitt Sie: Ich denke, Sie sind hier, um mit meinem Mann mal durchzusprechen, was nun…»
Moderegger ging dazwischen. «Soll ich dir den Apparat schon mal runterholen?»
«Ja, das wäre wirklich reizend, mein lieber Jean-Claude!» Das war der neue Vorname, den sie ihm gleich nach der Eheschließung gegeben hatte. Reinhold, fand sie, paßte nicht zu ihm. Außerdem, wenn sie seinetwegen einen neuen Nachnamen bekam, sollte er ihretwegen einen neuen Vornamen bekommen.
Moderegger war schon auf der Treppe. «Soll ich noch was für Vater mit runterbringen?»
«Nein, danke.»
«Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?» fragte Piesarczik.
«Nein, danke, ich geh ja gleich wieder. Komisch – hat Ihnen denn keiner Bescheid gesagt?»
«Ach, Sie meinen…?»
«Ihre Tippse, die Seywald…»
«Doch, doch», murmelte Piesarczik.
Sie schüttelte sich Schneewasser aus den Haaren. «Ich hab zufällig mit dem Bereitschaftsarzt gesprochen, da haben sie sie reingetragen… War ja nichts mehr zu machen.»
Piesarczik studierte das Barometer. «Ich kann’s überhaupt noch nicht fassen… So ein Unfall, der…»
«So ein Zufall, dieser Unfall!» sagte sie.
«Wie meinen Sie ‘n das?»
«Ich mein gar nichts. Die andern meinen nur…»
In diesem Augenblick kam Moderegger aus dem oberen Stockwerk zurück. «So, ich hab den kleinen Fernseher. Soll ich dich gleich rausbringen?»
«Ja, wenn’s dir nicht allzuviel ausmacht… Auf Wiedersehen, Herr Piesarczik.»
«Wiedersehen, Frau Moderegger.»
«Und nehmen Sie das Gerede der Leute nicht allzu tragisch.»
«Welches Gerede?»
Moderegger zog die Tür auf. «Uh, das schneit ja schon wieder; komm, Rita, schnell, eh du dich wieder…»
«Paß auf, reiß die Antenne nicht ab!»
«Mein Gott, nein! – Sie entschuldigen mich
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